Plagiat und Sühne

Plagiate schaden nicht nur dem wahren Urheber. Sie stören das Immunsystem der Wissenschaft dabei, Falsches aufzuspüren. Aber nicht nur in der Wissenschaft: Das gesamte Allgemeinwissen der Deutschen über ihre Muttersprache ist falsch und skrupellosen Abschreibern geschuldet.

Annette Schavan

Bei der Diskussion über Annette Schavans Doktorarbeit trifft man immer wieder auf Stimmen wie diese:

Die selbst ernannten Plagiatsjäger befriedigen m.E. v.a. das eigene Ego. Lassen wir das doch die Uni entscheiden, ob dies ein Plagiat ist.

Leser Fachnir auf Zeit Online am 14.10.2012

Das sind die Vernünftigen, gegen die alle anderen kopflos erscheinen. Glaubt man. Tatsächlich sind die Vernünftigen die Ahnungslosen.

Was ist eine Dissertation?

Die Dis­ser­ta­tion ist keine Prüfungs­arbeit wie die the­ore­ti­sche Füh­rer­schein­prü­fung oder eine Se­minar­arbeit, die sogar dem Daten­schutz unter­liegen. Die Dis­ser­ta­tion ist eine wis­sen­schaft­liche Veröffentlichung.

Man überreicht sie nicht dem Promotions­aus­schuß wie eine Ma­gister­arbeit, man muß sie bei einem rich­tigen Verlag ver­öffent­lichen (neu­er­dings ist auch eine Ver­öffent­lichung im In­ter­net erlaubt). Der Sinn einer Dis­ser­ta­tion, ety­molo­gisch ver­wandt mit dem In­serat, liegt näm­lich nicht nur in der wis­sen­schaft­lichen Erfor­schung eines Themas und ihrer schrift­lichen Ab­hand­lung, sondern auch im Debü­tieren als wis­sen­schaft­licher Autor.

Scha­vans Dok­tor­arbeit wurde als normaler wis­sen­schaft­licher Beitrag beim Verlag Rita G. Fischer (Edition Fischer)Externer Link zum Verlag ver­öffent­licht.

Ob eine Veröffentlichung ein Pla­gi­at ist, entscheidet die Öffent­lich­keit und kein geheimer Prü­fungs­aus­schuß ei­ner Uni­versi­tät. Die Uni­ver­si­tät Düs­sel­dorf ent­schei­det bloß dar­über, ob sie An­nette Scha­van den Dok­tor­grad ent­zieht (da sie ihn ihr einst ver­lie­hen hat, kann auch nur sie ihn ihr wieder aber­kennen), weil sie mit einem Pla­giat gegen die Prü­fungs­ordnung ver­sto­ßen hat. Dazu darf sie das Vor­lie­gen eines Pla­giats für den Haus­gebrauch selbst be­ur­tei­len, aber dieses Ur­teil bindet weder die Wis­sen­schaft noch die ge­sam­te Öf­fent­lich­keit.

Der Titelentzug ist eine Sache der Universi­tät Düs­sel­dorf. Sie ist ohne Belang für die Frage, ob die Öf­fent­lich­keit als Sou­verän des deut­schen Staa­tes eine Mi­niste­rin zum Rück­tritt drängt, weil sie sich über ein un­erträg­liches Ver­gehen in der Ver­gan­gen­heit einig ist. Diese Ei­nig­keit besteht als demo­krati­sche Mehr­heit seit Gut­ten­bergs Rück­tritt: Wer klaut, wird raus­geschmis­sen.

Alles hängt also davon ab, ob sich eine Mehr­heit dafür bil­det, daß die von Scha­van­plag vor­bild­lich er­arbei­te­ten Fälle als Pla­gi­at zu be­urtei­len sind. Die Fälle sehen so aus:

Zum In-sein gelangt der Mensch nicht erst durch das Erkennen, im Gegenteil: nur weil ihm das Seiende bekannt ist, er darüber verfügt und damit vertraut ist in den verschiedensten Weisen des Besorgens, kann er sich auf das Erkennen einlassen. Erkennen setzt also immer schon den Bezug zur Welt voraus.

Annette Scha­van: Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung. Frankfurt am Main, 1980. Externer Link zu Schavanplag

Dem stellt Scha­van­plag folgende Quelle gegenüber:

Es ist auch keineswegs so, daß wir erst durch das Phäno­men des Er­ken­nens zu so etwas wie dem In-sein gelangen würden; umgekehrt: nur weil wir immer schon mit dem Seienden vertraut sind, was in den ver­schie­den­sten Weisen des Be­sorgens seinen Nieder­schlag findet, können wir uns auf eine spezi­fische Weise des Kennens einlassen — eben das Erken­nen. Das Er­ken­nen vermittelt nicht etwa die Mög­lich­keit der Her­stel­lung des Bezugs zur Welt, sondern setzt diesen Bezug immer schon voraus [...].

Walter Biemel: Martin Heidegger. In Selbstzeugnissen und Bild­doku­men­ten. Hamburg, 1973.

Es ist unwahr, daß 1980 andere Maßstäbe gegolten hätten als heute:

Jedes Zitat innerhalb eines Textes wird durch Anführungsstriche und ge­gebenen­falls durch Ein­rücken ge­kenn­zeich­net.

Georg Hansen, Elke Nyssen, Josef Rützel: Ein­füh­rung in wis­sen­schaft­liches Ar­bei­ten: Grund­lagen, Tech­ni­ken, Ver­fah­ren. Kemp­ten 1978.

Diesem Gebot folgen Beispiele, die keinen Zweifel las­sen, daß Scha­van ihre Pas­sa­ge mit An­füh­rungs­zei­chen hätte zu­pla­stern und Bie­mel als Quel­le er­wäh­nen müs­sen. Alle frem­den Ge­dan­ken, und dazu ge­hö­ren auch Wort­schöp­fun­gen wie In-sein, müssen zi­tiert wer­den. Zu­dem hat Scha­van die fal­sche Schrei­bung In-sein über­nom­men. Der In­fini­tiv hätte in der Durch­kopp­lung groß­geschrie­ben wer­den müs­senTutorial: Wie schreibt man durchgekoppelte Wortzusammensetzungen?: In-Sein.

Besser wäre hier ein eingerücktes Block­zitat oder, wenn man die Quel­le schon in Fet­zen rei­ßen möch­te, was nicht so viel Es­prit hat, wie sich man­cher ein­redet, das Para­phra­sie­ren mit dem Kon­junk­tiv.Tutorial: Richtig Zitieren mit Konjunktiv 1 und Anführungszeichen. Dann kei­ne Gänse­füß­chen, aber na­tür­lich am An­fang die Quel­len­angabe.

Schavan­plag weist die Gül­tig­keit der Zitier­regeln übri­gens mit der damals gel­ten­den Studien­ordnung nach.Externer Link zu Schavanplag: Promotionsordnung

Ist Schavans Doktorarbeit ein Plagiat?

Ich halte es für ein Pla­gi­at in seiner ureigensten Form, der Hoch­stape­lei. Jeder­mann hat sich die­ser Hoch­stape­lei schon ein­mal schul­dig ge­macht, in Semi­nar­arbei­ten aus Zeit­not oder als An­fänger aus Man­gel an Über­sicht, im Büro, im Freun­des­kreis, gegen­über sei­nem Part­ner. Wer gegen die Euro­bonds in der Kaffee­küche Ein­wände er­hebt und Gründe als eigene kluge Er­kennt­nis anführt, die er in Wirk­lich­keit Hans-Werner Sinn zwei Wo­chen zuvor bei May­brit Ill­ner hat sagen hören, begeht ein Plagiat, das wir Mei­nungs­bil­dung nen­nen, so­lange man damit nicht zu sehr protzt.

Nicht weiter schlimm und auch in einer Se­minar­arbeit im ersten Se­mester ver­zeih­lich, weil ein acht­zehn­jäh­riger Stu­dien­anfänger vor einem Berg von For­schungs­lite­ra­tur steht, dessen Gip­fel er erst Jahre später er­klim­men wird.

In einer Magisterarbeit oder gar in einer Dis­ser­ta­tion darf das nicht pas­sie­ren. Vom Dokto­ran­den wird erwartet, dass er in fünf Jah­ren ein For­schungs­thema in seiner in Jahr­zehn­ten ge­wachse­nen Kom­pliziert­heit durch­dringt und in seiner Ar­beit er­stens über­sicht­lich auf­berei­tet und zwei­tens durch ei­ge­ne For­schung auf eine hö­here Ebene führt.

Drängt ihn Not zum Hochstapeln, indem er Primärbelege durch Se­kundär­lite­ratur pla­ziert, muß er sofort zum Dok­tor­vater. Denn es ist ein siche­rer Wink, daß das Thema zu weit ge­faßt ist. Scha­vans Thema könnte in sei­ner Weite nur noch durch Das Uni­ver­sum und der ganze Rest über­flü­gelt werden. Obwohl der inter­dis­zipli­näre Ansatz a priori zu wür­digen ist, offen­bart Scha­vans Arbeit doch, daß inter­diszipli­näre An­sätze unter sol­chen Bedin­gun­gen zu nichts nütze sind. Es wäre die Aufgabe des Dok­tor­vaters gewesen, dies im vor­hin­ein zu er­kennen. Die richtige Thema­fin­dung ist die wich­tigste Auf­gabe des Doktor­vaters.

Verlust des Doktorgrads

Wird Scha­van der Doktorgrad aberkannt, bleibt ihr nur das Abitur. Darüber haben sich viele Menschen gewundert.

"Sie promovierte, ohne vorher ein Diplom oder einen Magister zu machen." schreibt der Spiegel. Mir ist keine Uni bekannt, wo die Promotionsordnung auf einen Hochschulabschluß vor der Promotion verzichtet. Im Gegenteil werden i. a. hoche [hohe] Anforderungen an den Hochschulabschluß gestellt, um zum Promotionsverfahren überhaupt zugelassen zu werden.

Leser anonym007 am 15.10.2012 auf Spiegel Online Externer Link zur Quelle bei Spiegel Online

Nur weil man etwas nicht kennt, muß es noch lange nicht falsch sein. Den Ma­gister gibt es für Geisteswis­sen­schaften erst seit 1960. Davor studierte man vom ersten Se­mester an in einem Rutsch durch bis zum Dok­tor. Wenn man an der Pro­mo­tion schei­ter­te, wie schön in Erich Käst­ners Roman Fabian be­schrie­ben, stand man mit lee­ren Hän­den da und hatte viele Jahre seines Lebens vertan.

Die Lektüre von Scha­van­plag läßt keinen Zweifel daran, wie wichtig es ist, daß dem Doktor heute der Ma­gister vor­aus­geht. Der Ma­gistrand (Ma­gister­kan­di­dat) sam­melt Er­fah­run­gen, die ihn spä­ter als Dok­toran­den vor Feh­lern wie einem zu weit gesteckten Thema oder be­trügeri­schen Ab­kürzun­gen feien.

Verjähren Plagiate?

Das tun sie nicht. Hohes Alter ist kein Argument, sondern nur ein Umstand. Die Pädagogik ist ein Massenfach, aber in anderen Fä­chern, zum Bei­spiel der histo­rischen Sprach­wis­sen­schaft und der Ägy­pto­logie (meine Fächer), sind Ver­öffent­lichun­gen gang und gäbe, die das Alter von Scha­vans Arbeit um ein Viel­faches über­treffen.

Hier ist zu beachten, was oben ausgeführt wurde: Eine Dis­ser­ta­tion ist eine wis­sen­schaft­liche Mono­grafie und Teil der Forschungs­geschich­te. Im Ideal­fall erlangt sie gar eine pro­minen­te Stelle, weil Dis­ser­ta­tionen das Er­geb­nis von fünf Jahren Forschung ent­hal­ten. So lange und um­fang­reich forscht man für reguläre wis­sen­schaft­liche Ver­öffent­lichung sel­ten. Ein Dok­to­rand kennt sich bei sei­nem The­ma in Tie­fe und Brei­te am Ende bes­ser aus als jeder an­dere Mensch auf der Welt.

War seine Arbeit nicht koscher, muß sie auch nach dreißig oder mehr Jahren dis­quali­fiziert werden, um Schaden von der Forschung abzuwenden.

Dieser Scha­den ist nach bis­heri­gen Er­kennt­nis­sen noch ein Ba­ga­tell­scha­den. Frau Scha­van hat Zi­tier­fehler der Primär­quel­len über­nom­men, weil sie die Pri­mär­quelle nicht selbst an­gesehen hat. Scha­van­plag führt ver­räteri­sche Tipp­fehler an.

Das kann sich aber noch ändern, weil ja bisher nur formale Indizien für die Existenz von Pla­gi­aten gesucht wurden. Ob sich aus den Pla­gi­aten auch Fehl­schlüs­se ergeben haben, erweist im Anschluß die Forschung.

Der Sprachverführer von Thomas Steinfeld als schädliches Plagiat

Wie ein Totalschaden aussieht, möchte ich noch einmal an Thomas Stein­feld und seinem Sachbuch Der Sprachverführer zeigen.

Thomas Stein­feld ist Chef des Feuil­letons der Süd­deut­schen Zei­tung und hat in dieser Rolle Psy­cho­gram­me ent­tarn­ter Pla­gi­ato­ren wie Gut­ten­berg und He­le­ne Hege­mannExterner Link zum Artikel auf sueddeutsche.de ver­faßt. Die­se Psycho­gram­me set­zen tie­fes Nach­den­ken über das Plagi­ieren, die Mo­tive dafür und die Be­urtei­lung voraus.

Stein­felds eige­nes Buch ist am 16.08.2010 er­schie­nen, zeit­lich nach dem Ar­tikel über Hege­mann (17.05.2010) und vor dem Ar­ti­kel über Gut­ten­berg (25.02.2011). Im Tutorial über das Verb fragen haben wir ihm fol­gen­des Pla­gi­at nach­gewiesen:

Die meisten deutschen Verben werden »schwach« gebeugt, und alle, die jetzt noch aus einer anderen Sprache kommen. Es sind immer mehr gekommen, und so geht es fort. »Ich frug« ist ebenso ver­schwun­den wie »ich buk«, und erst recht: »der Hund boll«, was heute »der Hund bellte« heißt. Johann Wolfgang Goethe schrieb oft »frug«, und so tat es lange auch Frie­drich Schiller, bis er in seinen späten Jahren »fragte« benutzte.

Thomas Stein­feld: Der Sprachverführer. München 2010. Seite 67.

Wir haben mit dem Goethe-Wörterbuch und mit Hilfe der Redaktion dieses Wörterbuchs nachgeprüft, wie oft Goethe das Verbum fragen stark beugte. Bei gut tau­send Ver­wendun­gen des Ver­bums im Ge­samt­werk beugt Goethe grund­sätzlich und immer schwach. Für die falsche Form frug finden sich ei­gent­lich nur zwei zeit­lich eng bei­einan­der­lie­gen­de Be­lege, bei denen wir guten Grund zu der An­nahme haben, daß er sich darin über frug lustig macht. In jedem Fall sind sie markiert, also nicht als normale Verbform gebraucht.

Stein­felds Belegangabe ist also falsch. Das Gegenteil ist richtig: Goethe hat fragen wie wir immer schwach gebeugt.

Das ist der Schaden: Der Beleg ist falsch und des­halb auch die ab­gelei­tete The­se, man hätte früher frug statt fragte gesagt.

Stein­feld hält es grundsätzlich nicht für nötig, die Richtigkeit seiner Be­haup­tun­gen durch Se­kundär­mit­tel (Hand­bücher und Wör­ter­bücher) oder an Pri­mär­belegen zu über­prüfen. Das erkennt man bei seinem Buch auf Schritt und Tritt. Allein oben im Zitat sind alle Beleg­angaben falsch. Frug ist nicht ver­schwun­den, son­dern nie da gewesen. Es wird seit dem Alt­hoch­deut­schen schwach gebeugt er fragt, er fragte, gefragt, erst nach Goethe kommt frug durch ein Miß­ver­ständ­nis im neun­zehnten Jahr­hun­dert bei weni­gen Dich­tern der Roman­tik und im Neu­platt­deut­schen in Mode. Der Hund boll im älteren Deutsch nicht, wie Stein­feld ir­gend­wo auf­geschnappt hat, sondern er ball, wie man aus jedem Hand­buch des Mit­tel- oder Früh­neu­hoch­deut­schen erfährt:

funff hundert hunde, di machten ungefugen schal:
diser galph, diser pal

Apollonius von Tyrland

Übersetzung: Fünfhundert Hunde, die machten ungeheuren Krach: die einen gellten, die anderen bellten.

Der Rest des Sprachverführers bewegt sich auf diesem Niveau.

Steinfeld hat also keine Ahnung, was es mit dem Verbum fragen auf sich hat. Er hält es nicht für nötig, Hand­bücher zu kon­sul­tieren, und natürlich hält er es auch nicht für nötig, Belege bei Goethe zu suchen.

Wie kommt er dann auf seine Behauptung?

So:

Goethe schrieb oft frug; Schiller schrieb es ur­sprüng­lich auch, be­kehr­te sich aber spä­ter zu fragte.

Ludwig Reiners: Stilkunst: ein Lehrbuch deutscher Prosa. München 1943 und 2004. Seite 182.

Ludwig Reiners. Das ist nicht einmal eine Sekundär­quelle wie ein Hand­buch oder das Goethe-Wör­ter­buch, es ist eine min­destens dritt­klassi­ge Quelle, der übri­gens selbst Pla­giate vor­ge­wor­fen werden.

Hier noch einmal der Vergleich. Haben Sie noch im Ge­dächt­nis, welche Vari­ante von Stein­feld und wel­che von Rei­ners stammt?

Kann das Zufall sein? Viel­leicht hat Thomas Stein­feld nie von Reiners gehört? Hier der Auszug aus dem, was Stein­feld Per­sonen­register nennt.

Reiners, Ludwig 37, 39f., 58, 105, 186, 189, 215, 223

Thomas Stein­feld: Der Sprachverführer. München 2010. Personenregister. Seite 270.

Die Seite 67 ist nicht dabei. Es gibt noch einen Anhang mit An­mer­kun­gen, wo Stein­feld Quellen an­führt. Aller­dings nur zu dem Zweck, seine Be­lesen­heit bei deut­schen Dich­tern glän­zen zu las­sen. Auf Seite 251 werden Quel­len für die Seite 67 an­geführt. Dort steht nur Martin Mose­bach. Den hat Stein­feld also auch ge­lesen, denkt sich der leicht­gläu­bige Leser.

Stein­feld kennt Rei­ners Stil­kunst nach­weis­lich, er er­wähnt ihn an an­derer Stelle. Kommt Ih­nen das als no­tori­schem Pla­gi­ats­affären­kon­sumen­ten be­kannt vor?

Die einzige uns bekannte Be­spre­chung dieses Buchs stammt von Ursula März in der Zeit, wo es offen­kundig kein Problem ist, daß eine Autorin bei Hanser ein Buch von HanserSteinfeld bei Hanser rezensiert.

Hier die Stelle, wo es um die starke und schwache Beugung von Verben geht:

Das wahrhaft Erstaunliche an Stein­felds Sprachverführer, der tat­säch­lich hält, was der Titel verspricht, ist viel­mehr seine ani­mieren­de, ja nach­gerade fröh­liche Wirkung. Man legt das Buch zur Seite und hat auf der Stelle Lust, je­manden an­zurufen und in ein Ge­spräch zu ver­wickeln, nur um ein paar Wör­ter zu ver­wen­den, die man seit Lan­gem nicht mehr ver­wen­det hat. Oder: die man seit Langem nicht mehr ver­wandte? Schon zieht, mit­hilfe des Prä­teri­tums und der starken Beu­gung des Verbs, eine dunklere, leicht drama­tische Tendenz in den Sinn des Satzes ein.

Ursula März: Sie lebt! In: Die Zeit, Hamburg 13.1.2011.

Sie sahen gerade, wie der Schaden, den Stein­feld in seinem Buch sät, bei Lesern blüht, die wie Ur­su­la März völlig un­beleckt von der deut­schen Spra­che sind. Auch das Ver­bum wen­den war nie­mals ein star­kes Verb (zur Beugung von wenden und winden gibt es ein TutorialWandte oder wendete, gewandt oder gewendet? Das Verbum 'wenden' richtig konjugieren.): Die Formen ich wandte und gewandt sind auch schwach, wie man am -t- erkennt und in der Ich-Form zudem an der Endung -e, die starke Ver­ben nie­mals haben ich schwamm, ich sang, ich bot, ich ritt.

Ich kann mir zwar gut vor­stellen, daß Stein­feld wenden mit winden ver­wech­selt oder ich wandte für stark hält, nur kann ich die Stel­le in sei­nem Buch nir­gend­wo fin­den. Mehr­mali­ges Durch­blät­tern und die Suche mit Google Books er­gaben nichts. Des­halb müs­sen wir eine wei­te­re Stufe der Ver­fäl­schung an­neh­men: Ursu­la März jubelt Stein­feld einen Feh­ler unter, den er selbst unter­lassen hat. Der aber sei­nem Stil ent­spricht.

Wer angeregt durch die Re­zen­sion das Buch kauft, wird völlig in die Irre geführt. Des­wegen stimme ich Ur­sula März be­gei­stert zu, wenn sie be­haup­tet, man bekomme vom Sprach­ver­füh­rer genau das, was der Titel ver­spricht.

Und so nimmt ein Irrtum seinen grausamen Lauf:

"Ihre Bestellung wurde versendet!" Wo andere sich beim Anblick dieser Betreffzeile der lang ersehnten E-Mail des In­ternet­versand­händlers die Hände reiben, hole ich tief Luft und frage mich, wieso meine Be­stel­lung versen­det und nicht versandt wurde. Wie kann man nur ein der­art schönes Verb auf eine solch ent­setz­liche Weise ver­unstal­ten?

Vor einigen Jahren lernte ich während meines Studiums, dass nicht alle Ver­ben gleich sind. Einige sind stark, andere be­son­ders, die meisten schwach. (…) Die Abschluss­arbeit meines Ger­manistik­studiums habe ich den star­ken Verben ge­wid­met.

Ariane C. Gehr: Rettet die starken Verben! Externer Link zur Quelle bei Zeit Online

Um Gottes Willen. Eine Germanistin, die ihre Abschluss­arbeit den starken Verben widmet und nicht weiß, daß ich sandte, ge­sandt gar keine star­ken Verb­for­men, son­dern schwa­che sind? Für senden gilt das­­ wie für wen­den, wandte, ge­wandt: Es sind schwa­che Ver­ben mit Rück­umlaut.Wandte oder wendete, gewandt oder gewendet? Das Verbum 'wenden' richtig konjugieren.

Quelle? Zeit Online! Es kann sich um ein Plagiat han­deln: Ariane C. Gehr hat das irgendwo auf­geschnappt, nicht ver­stan­den und nicht über­prüft, und einfach wei­ter­posaunt. Viel­leicht weiß aber sie aber wirk­lich nicht, was ein star­kes Verb ist, und ist von ganz allein darauf gekommen.

Schätzen Sie einmal, wie vielen Men­schen in­zwi­schen der Ein­druck vermit­telt wurde, die star­ken Ver­ben wür­den aus­ster­ben. Das Problem ist, daß der Ein­druck falsch ist. Das Gegen­teil stimmt.Video-Tutorial: Sterben die starken verben aus?

Bastian Sick

Ein weiteres Beispiel wäre Bastian Sicks Irr­tum, bei meinet­wegen han­del­te es sich um eine Ge­ni­tivform, worauf ja die irrsinnig falsche Theorie beruht, der Ge­ni­tiv stürbe aus und würde durch den Dativ verdrängt.

"Wegen dir", sang die bayerische Sängerin Nicki 1986. Das Lied war damals ein großer Erfolg und erlangte Be­kannt­heit weit über die Gren­zen Bayerns hinaus. Ein deut­scher Schla­ger, der nicht auf Hoch­deutsch getex­tet war. Die Bayern, das weiß man, haben's net so mit dem Wes-Fall (Woos is des?), sie lieben den Dativ wie das Weiß­bier und die Blas­musik. Daher verzieh man der Sän­gerin auch gerne den drit­ten Kasus im Zu­sammen­hang mit dem Wörtchen "wegen".

Udo Jürgens: Kreuzzug für die Rettung des Genitivs: Als müsse er diesem kommer­ziel­len Tief­schlag des Genitivs etwas ent­gegen­halten, brachte im selben Jahr der Österreicher Udo Jürgens eine Platte mit ähnlich klingendem Titel heraus: "Deinetwegen" hieß das Album, und es wurde ein großer Erfolg weit über die Gren­zen Öster­reichs hinaus. Zum Glück: So wurden die Radio­hörer im deutsch­sprachi­gen Raum daran erinnert, dass man in Bayern "wegen dir" sagen kann, dass die richtige Form aber "deinetwegen" lautet. Denn was Udo Jürgens singt, ist immer bestes Hoch­deutsch. Ein Jahr lang ging er mit "Deinet­wegen" auf Tour­nee, ein bei­spiel­loser Kreuz­zug für die Rettung des Genitivs.

Bastian Sick: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Spiegel Online am 22.10.2003 und später als Buch.Externer Link zur Quelle bei Spiegel Online

Anmerkung: Bairisch ist Hochdeutsch!

Daß meinetwegen ein Genitiv ist, muß Sick irgendwo auf­geschnappt haben, vielleicht bei Wikipedia:

In seltenen Fällen erscheint die Ge­ni­tivform des Vor­der­worts in ver­änder­ter Gestalt: meinet­wegen, deinet­wegen usw. (aus „meiner wegen“, „deiner wegen“ usw.). Diese Aus­nahmen sind nicht aus Regeln ableit­bar.

Wikipedia: Fugenlaut. Externer Link zum Artikel bei Wikipedia

Wobei es auch umgekehrt ein Pla­gi­at durch Wiki­pedia von Bastian Sick sein kann. Denn was da steht, ist un­glaub­licher Unfug. Hier einmal meinet­wegen, wie es noch zu Luthers Zei­ten aussah:

Du weissest / was der HERR zu Mose dem man Gottes sagete
von meinen vnd deinen wegen in Kades-Barnea.

Josua 14:6, Martin Luther, Ausgabe letzter Hand vom Jahr 1545

Übersetzung: Du weißt also, was der Herr zu Mose, dem Mann Gottes, sagte über mich (was mich be­trifft, mei­net­wegen) in Ka­desch-Barnea.]

Bastian Sicks Kronzeuge für einen Ge­ni­tiv ist also der Dativ des Pos­sessiv­pro­nomens mein, und das hat mit Geni­tiv nichts zu tun: Von meinem/diesem/dem Urlaub ist nichts mehr übrig. Er er­­zählte von seiner/jener/der Ver­gangen­heit.

Denn nach von steht seit jeher der Dativ:

Ein aus­führ­liches Tu­tori­al zu mei­net­wegen und dem Kasus nach der Prä­posi­tion wegen fin­den Sie hier.Tutorial: Nach 'wegen' Dativ oder Genitiv?

Wer sich er­kun­digt, wie mei­net­wegen ent­stan­den ist, muß darauf stoßen. Ein ver­flucht guter Grund, das über­haupt nach­zuprü­fen zu wollen, könnte zum Bei­spiel sein, daß Ge­niti­ve im Deut­schen nie­mals auf ∙t enden und es auch keinen Lautwandelt von ∙r zu ∙t gibt, wie Wiki­pedia be­haup­tet.

Dieses Detail ist nicht nur Sick nicht aufgefal­len, son­dern auch den Hor­den von Kri­ti­kern nicht, die sich Sicks Bü­cher vor­geknöpft ha­ben. Wir waren zu un­serem Er­stau­nen Jahre nach der Ver­öffent­lichung die ersten und ein­zigen, denen das bei der Erst­lek­türe auf­gefal­len ist. Aber daß Wiki­pedia darauf her­ein­fällt, ist eine Zu­mutung. Wie viele Men­schen haben den Un­fug einer durch nicht­ableit­bare Regeln ver­änder­ten Gestalt wohl gelesen? Und noch wich­ti­ger: Wiegen diese Regeln leichter als kalte EnteExterner Link zur kalten Ente bei Youtube?

Natürlich mopst sich auch Thomas Stein­feld die Quatsch­thesen über den Tod des Ge­ni­tivs, die wir in der Genitivwoche in Gänze widerlegt habenAll unsere Tutorial zum Genitiv im Überblick.:

Größere Schwierigkeiten scheinen die Deutschen mit dem Ge­ni­tiv zu haben. So sehr, dass sie ihn gern mit einem von und dem Dativ ersetzen.

Thomas Stein­feld: Der Sprachverführer. München 2010. Seite 174.

So ein Deutscher wird wohl Otfrid von Weißenburg gewesen sein, der ei­gent­lich als Groß­meister und Vater der deut­schen Schrift­sprache gilt. Er schrieb vor einem Jahr­tau­send ther keisor fona Rumu der Kaiser von Rom oder thie selbun zaltun alle mir thesa beldi fona thir die­selben er­zähl­ten alle mir diese Kühnheit von dir.

Oder gar später das Nibelungenlied! Schnallen Sie sich an, es beginnt so:

Uns ist in alten mæren [wunders]Genitiv vil geseit von helden lobebæren, von grōzer arebeit, von freuden, hochgeziten, von weinen und von klagen, von küener recken strīten muget ir nu wunder hœren sagen.

Nibelungenlied, erste Aventüre, erste Strophe, nach Handschrift C.

Uns ist in alten Geschichten Wunder(liche)s (eig.: des Wunders) viel erzählt, (und zwar) von ruhmreichen Helden, von großen Mühen (schlech­ten Zei­ten), von Freu­den (gu­ten Zei­ten), Festen, von Wei­nen und Klagen, vom Kampf tap­ferer Kerle. Wun­der­liches könnt ihr jetzt gleich hören.

Das wunder ist ein Substantiv. Es bezeichnet im Mittel­hoch­deut­schen eine Tat oder ein Er­eig­nis, das ei­nen wun­dern macht. Wir wür­den heu­te Wun­der­liches sagen. Wun­ders ist ein Ge­ni­tiv, und zwar einer derer, denen Stein­feld hin­ter­her­trauert.

Gab es nicht einmal eine ganze Reihe von Verben, die den Ge­ni­tiv nach sich zogen: danken und achten, begehren und brauchen, hüten und pflegen, unterfangen und verzichten?

Thomas Stein­feld: Der Sprachverführer. München 2010. Seite 174.

Nein, gab es nicht. Der adverbiale Ge­ni­tiv war im Mit­tel­hochdeut­schen pro­duk­tive Gram­matik und konnte theore­tisch nach jedem Verb als Ad­verbi­ale auf die Frage in Bezug worauf? stehen.

Wie wir im Tutorial über den Ge­ni­tiv bei Verben darlegten,Der genitiv nach Verben (adverbialer Genitiv) konnte diese syn­tak­tische Stelle auch von Prä­posi­tional­phra­sen belegt werden. Und die sind heute als einzige Mög­lich­keit übrig­geblie­ben, weil der ad­ver­biale Ge­ni­tiv (sich als Um­stands­angabe auf Ver­ben bezie­hen­der Geni­tiv) nicht vom Dativ, son­dern vom ad­nomi­nalen Ge­ni­tiv ver­drängt wor­den ist, der früher sehr selten war.

Ein Blick ins Feuil­leton der Süd­deut­schen Zei­tung, dessen Chef Stein­feld ja ist, hätte ihm ge­zeigt, daß dieser ad­nomina­le Ge­ni­tiv einer der häu­fig­sten Kasus über­haupt ist. Ich schnap­pe mir mal den ersten Artikel aus Stein­felds Abteilung, dem ich auf sued­deut­sche.de begegne:

Brechts Johanna

Sie war nimmermüde in ihrer Energie und ihrem Engagement - und nach Meinung von Bertold Brecht "eine der begabtesten Schauspielerinnen des Berliner Ensembles". Nun ist die große Schauspielerin Käthe Reichel ist gestorben.

Christine Dössel: Brechts Johanna. In: sueddeutsche.de vom 19.10.2012.Externer Link zum Zufallsartikel

Drei (adnominale = sich auf ein Nomen be­ziehen­de) Ge­ni­tive bei der Süd­deut­schen, einer (adverbial) im Nibe­lungen­lied, wo in der vor­moder­nen Zeit mehr Ge­ni­tive ver­bra­ten wer­den als ir­gend­wo sonst. Die­ses Ver­hält­nis ist kein Zufall und fällt hier durch den Zu­falls­beleg ge­rin­ger aus als im gro­ßen Durch­schnitt.

Steinfeld dennoch:

Der Genitiv verschwindet als eigene Deklinations­form; was er sagen sollte, lebt mit der Präposition von fort […]

Thomas Stein­feld: Der Sprachverführer. München 2010. Seite 174.

Sprach er eben noch von adverbialen Genitiven nach Verben, geht er hier zu adnomina­len über, ohne zu be­mer­ken, daß es zwei völlig ver­schie­dene Dinge sind. Die falsche Schluß­folge­rung (der ad­nomi­nale Geni­tiv ver­schwin­det durch von) soll durch fal­sche Belege (der ad­verbi­ale Geni­tiv zum Bei­spiel nach achten, wo auch im Mit­tel­alter gerne wie heute auf etwas an­geschlos­sen wurde) be­wie­sen werden, die mit der Schluß­folge­rung nichts zu tun haben.

Hatten Sie gerade den Eindruck, der Genitiv wäre im Feuilleton der Süd­deut­schen Zei­tung am Ver­schwin­den? Ich hätte mir eher we­ni­ger Ge­niti­ve und mehr Prä­posi­tion ge­wünscht. Das hätte der Sinn­lich­keit des Tex­tes genutzt. Der Ge­nitiv wird übri­gens nie ver­schwin­den.

Stein­felds Behauptung ist also falsch, das Gegen­teil richtig.

Den wei­te­ren Un­fug auf Seite 174 erspare ich Ihnen; werfen wir statt­dessen noch einen Blick auf das Nibe­lungen­lied: Der Ge­ni­tiv wunders wird danach noch aus­geführt, und zwar mit der Prä­posi­tion von. Die­selbe syn­tak­tische Stelle bei sagen (er­zäh­len) (Wozu/worüber er­zäh­len?) kann also in einem ein­zigen Vers von Geni­tiven und von Prä­positio­nen gefüllt werden.

Es sind also nicht nur die Belege falsch oder gar nicht vor­han­den, na­tür­lich ist auch die Schluß­folge­rung auf das Fal­scheste falsch: Nicht aus Un­fähig­keit greift der Deut­sche zur Prä­posi­tion, son­dern weil er aus den viel­fäl­tigen Mit­teln des Deut­schen schöpft. Nicht nur der Dichter des Ni­be­lungen­lieds macht das, auch Christine Dössel, die Untergebene von Thomas Stein­feld: nach Mei­nung von Ber­told Brecht.

So ist es übrigens seit den frü­hesten Belegen des Deut­schen. Wer Sick oder Stein­feld folgt, wird in seinen sprach­lichen Mit­teln be­schnit­ten.

Wer die Primärbelege nicht beachtet und Theorien von windigen Quellen mopst, liegt in seinen Schluß­folge­run­gen mit grau­samer Gewiß­heit da­neben. Davon kann jeder Wis­sen­schaft­ler be­richten.

Abschließendes Urteil

Zurück zur ursprünglichen Frage: Glau­ben Sie jetzt noch, daß Pla­gi­ate ver­jäh­ren soll­ten?

Sie müssen enttarnt und bereinigt wer­den. Rei­ners hat den Goethe­mythos irgendwo aufgeschnappt und unüberprüft das Gegen­teil der Wahr­heit ver­brei­tet. Diese Un­wahr­heit hat Stein­feld bei Rei­ners auf­ge­schnappt, ohne den Un­ter­schied zwi­schen star­ken und schwachen Verben im An­satz zu ver­stehen, und ihn un­über­prüft seinen Le­sern als eigene Er­kennt­nis ver­kauft, obwohl er in Wahr­heit nur durch seine Ahnungs­losig­keit darauf her­ein­gefallen ist. Seine Re­zensen­tin Ursula März ver­län­gert den Ball und gibt ihm noch mehr Wucht in die fal­sche Rich­tung. Zeit Online mau­sert sich zum Zen­tral­organ derer, die sich um das Aus­ster­ben sol­cher star­ken Ver­ben ängstigen, die gar keine star­ken Ver­ben sind.

Bei einer Epi­demie sucht man den Patienten null. Genau das hat Scha­van­plag gemacht. Ein Plagiat gebiert Gebiert und gebährt sind beide richtig. immer ein wei­teres. Das ist kein Wun­der, son­dern ein einfacher evo­lutio­närer Me­chanis­mus: Wenn auf Stufe 1 die Pri­mär­belege für eine The­o­rie feh­len, hat auch der Plagi­ator der nächsten Stufe für die ge­mopste Theorie keine Be­lege. Weil sie nicht exi­stie­ren. Der Pla­gia­tor wird also nur von Pla­giatoren plagi­iert.

Oder von Nichtplagiatoren entlarvt. Je weiter man sich in der Pla­giats­kette zum Ur­sprung vor­arbei­tet, desto gründ­licher kann man das Übel aus­reißen. Des­halb dür­fen Pla­gia­te nicht ver­jäh­ren.

Eine andere Frage ist, welche Strafe zu verhän­gen ist. Gutten­bergs Dok­tor­arbeit war ein Desaster, in dessen Aus­maßen ich Ähn­lich­keiten zu Stein­feld sehe. Die Ab­erken­nung des Dok­tor­gra­des war zwingend er­forder­lich. Zu­sam­men mit dem Ein­druck, den man von Gut­ten­berg bei seinem Ver­hal­ten als Ver­teidi­gungs­minister beim Shoot­out in Afghani­stan und beim Kiel­holen auf der Gorch Fock bekam, kann man durch­aus zu dem Ur­teil gelangen, daß Gut­ten­berg viel zu ge­fähr­lich für seinen Posten war und zu­rück­treten mußte.

Anders bei Annette Scha­van. Ihre Arbeit ist dis­qualifi­ziert, weil wis­sen­schaft­liche Ver­öffent­lichungen frei von sol­chen Feh­lern sein müs­sen. Was bisher ge­schehen ist, ver­hin­dert be­reits, daß die Arbeit je­mals wieder von einem Wis­sen­schaft­ler oder Stu­denten zitiert wird. Es ist also alles erreicht, um den Schaden zu heilen.

Meiner Einschätzung nach sind ihr ihre Pla­gi­ate aus Not und Un­erfah­ren­heit un­ter­lau­fen, nicht aus Nie­der­tracht, wie man bei anderen mei­nen kann. Es war ihre erste wirk­lich wis­sen­schaft­liche Ver­öffent­lichung. Den­noch gründet Scha­vans Dok­tor­würde fast aus­schließ­lich auf dieser Ar­beit.

Be­dauer­licher­weise war es aber nicht nur Scha­vans erste, son­dern auch ihre letzte wis­sen­schaft­liche Ver­öffent­lichung, ich kann in der Publi­kations­liste kei­nen wei­teren Titel fin­den, der mit Wis­sen­schaft zu tun hat. Die Liste doku­men­tiert zwar Scha­vans Gottgläubigkeit, aber keine Fort­schritte beim red­lichen wis­sen­schaft­lichen Ar­bei­ten. Im Gegen­teil, Schavan­plag weist nach, daß von täti­ger Reue keine Rede sein kannExterner Link zu Schavanplag: Funde in neueren Texten von Schavan..

Wer mit bei­den Bei­nen in der Kir­che steht wie Scha­van, dem bleibt aller­dings nur die be­kennen­de Reue. Sie sollte zurück­treten und ihren Doktor be­hal­ten dür­fen. Die Er­niedri­gung bei einer Aber­ken­nung halte ich für un­mensch­lich und un­ver­hält­nis­mäßig in An­betracht der Tat und der sonst doch guten Leist­ung der Dis­ser­tation. Ich habe den Füh­rer­schein erhalten, obwohl ich beim Ein­parken den Außen­spiegel am Privat­wagen des Prüfers ab­gefahren habe.

Scha­van hat sich durch ihr Urteil über Guttenberg zum Nar­ren gemacht. Dafür würde ich den in seiner Weis­heit un­ergründ­lichen Hu­mor des flie­gen­den Spa­ghetti­monsters ver­antwort­lich machen.

Anders bei Sick und Stein­feld. Wer seine Leser als Sach­buch­autor durch un­über­prüf­te Mythen­mopse­reien in die Irre führt, begeht ein be­son­ders schwer­wiegen­des Pla­gi­at, weil Privatleser nicht ver­pflich­tet sind, ein Sach­buch wis­sen­schaft­lich-kri­tisch zu prü­fen. Und die Multi­plika­toren von Bastian Sicks Thesen sind in­zwi­schen Legion.

Eines muß man Herrn Sick aber zugute halten: Er hat zwar Ur­teile über­nom­men (die Ge­nitiv­todes­angst ist ein alter Hut), die er nicht ver­steht und nicht über­prüfen kann, weil ihm, wie ich glaube, dazu die aka­demi­schen Vor­aus­set­zun­gen feh­len, aber seine Lehr­geschich­ten hat er sich alle selbst aus­ge­dacht und nicht von ande­ren para­phra­siert. Ich vermute, daß er mei­net­wegen als Bei­spiel auf­ge­schnappt hat, weil ich bei ihm nur aus­gelutsch­te Ideen fin­den konnte. Er kann es aller­dings auch aus ei­genem An­trieb ver­kannt haben, weil es ja auch von Amts wegen heißt. Darauf fällt einer wie Sick wohl herein.

Thomas Stein­feld unterstelle ich Vorsatz und niedere Motive. Wer am Tage Gut­ten­berg und Hege­mann in der Zei­tung zer­legt und am Abend ein Buch aus heran­geflat­terten Ad-hoc-Irr­tümern kom­pi­liert und nie­mand außer sich selbst beim Namen nennt, hat für mich nicht alle Tas­sen im Schrank. Und dann auch noch das hier:

Für Thomas Steinfeld stellt ein Plagiat wie in der Causa Schavan ein "Symptom für den Zustand einer Uni­versität dar, die Wis­sen­schaft vor allem als Ge­gen­stand des Wett­bewerbs kennt".

Heute in den Feuilleton, Süddeutsche Zeitung, 16.10.2012.
In: Perlentaucher, 16.10.2012.Externer Link zur Quelle bei Perlentaucher

Ein Zitat aus zweiter Hand, aber dennoch gruselig.

Nachtrag: Januar 2013

Seit diesem Artikel hat sich die Lage weiterentwickelt: Die Universität Düsseldorf hat eine Hauptuntersuchung eingeleitet. Wer den Wis­sen­schafts­betrieb kennt, hat nichts anderes er­wartet.

Von Frau Schavan habe ich den Eindruck, sie möchte sich als Frau der Wissenschaft gerieren. Ein beacht­liches Selbst­verständ­nis angesichts einer ein­zigen wissen­schaft­lichen Publikation, die so lange zurück­liegt.

In der Presse wurde laut, Schavan fordere un­abhän­gige Gutachter:

Schavan erklärte dazu in einer Mitteilung, sie hoffe, „dass mit der Eröffnung eines ergebnisoffenen Verfahrens jetzt auch verbunden ist, externe Fachgutachten einzuholen“. Sie sei davon überzeugt, „dass die unbegründeten Plagiatsvorwürfe ausgeräumt werden“.

Handelsblatt, 23.01.2013Externer Artikel zum artikel beim Handelsblatt

Da wundert sich jeder Student. Das kann man von der Uni­versi­tät einfach so fordern? Dann doch auch für die Seminar­klausur aus dem letzten Semester. Viel­leicht kann man mit einem externen Gut­achter die Zensur nach­träglich nach oben schrau­ben.

Tatsächlich war Stefan Rohrbacher als erster Gutachter der Universität Düs­sel­dorf bereits unab­hängig. Das sind Professoren nämlich grund­sätz­lich. Sie sind keine An­gestell­ten des Dekans, son­dern werden berufen und haben dann bis auf die ein oder andere Rahmen­pflicht (Vor­lesun­gen halten, Stu­dentin­nen nicht auf die Möpse starren) völlige Frei­heit. Kein Pro­fessor würde eine Dienst­anweisung befolgen, die ihn in seiner Unverfangenheit bei wis­senschaft­lichen Gut­achten be­schnei­det. Und ganz sicher nicht ein Professor wie Stefan Rohrbacherexterner Link zu Wikipedia.

Etwas Unabhängigeres als eine Prüfung durch den Promo­tions­ausschuß kann man als Student oder Promo­vend nicht erwarten. Wenn die Uni­ver­sität Düs­sel­dorf von ihrem Recht Ge­brauch macht, die Doktor­würde zu ent­zie­hen, weil Frau Schavan gegen die Prüfungs­ordnung ver­sto­ßen hat, zu deren Ein­hal­tung sie sich damals an Eides Statt ver­pflich­tet hat, dann kann Frau Schavan danach vor einem bür­ger­lichen Gericht gegen die Uni­versi­tät klagen. Das ist dann der Mo­ment und der Ort, wo sie selbst Gut­achter ein­bringen kann.

Die Sache hat nur einen Haken: Niemand wird in Deutschl­and Berufs­richter, ohne selbst studiert zu haben. Und wie Pro­fes­soren sind auch Richter unabhängig von Weisungen.