Der oder die Krake?
Krake Paul ist tot. Deutsche Fußballfans werden über ihn sagen, was Glenn Gould einst über Mozart sagte: Er sei eher zu spät als zu früh gestorben. Aus seinem Namen schließen wir, daß Paul ein Mann gewesen sein muß; deswegen fiel es den meisten nicht schwer, das richtige Genus zu finden, wenn sie über ihn berichteten: ›der Krake Paul‹. Doch was ist mit all den anderen Kraken? Heißt es ›der Krake‹ oder ›die Krake‹?
Der oder die Krake?
Das natürliche Geschlecht von Paul nichts damit zu tun, ob das Wort Krake
im Deutschen maskulin oder feminin ist. So kann man über eine Katze Horst
oder den Goldfisch Ursula
berichten. Das bereitet keinem Schwierigkeiten. Bei dem Wort Krake
schwanken die Deutschsprecher allerdings zwischen zwei Geschlechtern: die Krake
oder der Krake
?
Natürlich sind beide Genera richtig. Ganz allein die Deutschsprecher selbst entscheiden darüber, welches Geschlecht sie einem Wort geben. Einer Eintracht bedarf es dabei nicht. Wenn ein Deutschsprecher einen anderen Weg geht als die anderen hundert Millionen, dann spricht er zwar ungewöhnlich, aber noch lange nicht falsch. Das ist ganz besonders dann zu beachten, wenn ein Begriff aus einer fremden Sprache entlehnt worden ist. Und genau das ist beim Kraken der Fall: Krake
stammt aus Skandinavien und hat dort stets männliches Geschlecht. Das ist der Grund, warum auch einige Deutschsprecher der Krake
sagen. Andere entscheiden sich gegen das Genus der Herkunftssprache und ordnen die Krake
wegen der Endung ∙e
in das Schema der (ehemals schwachen) weiblichen Substantive ein: die Ute, die Stute, die Heilige, die Nutte, die Schlaue, die Farbe, die Blonde, die Liebe, die Zunge, die Katze, die Taube …
Aus bildungsbürgerlicher Sicht scheinen die Maskulinisten im Recht. Könnte die deutsche Sprache als Person ein offizielles Statement abgeben, würde sie sich allerdings auf die Seite der anderen, weniger gebildeten Femininisten schlagen. Denn nichts verachtet Germania so sehr wie Volvo-
Wie schon einmal im Tutorial über das Genus neuer Wörter wie der
oder das Blog
Tutorial: Das grammatische Geschlecht im Deutschen sei darauf hingewiesen, daß der/die Krake
ein deutsches Wort ist und kein nordisches. Denn sobald ein Wort in einen deutschen Satz eingebaut und dabei nicht als fremdländische Vokabel zitiert wird, ist dieses Wort in den Wortschatz des Deutschen eingegangen und unterliegt von nun an einzig und allein den Regeln der deutschen Sprache und keinesfalls denen der Sprache, aus der dieses Wort ursprünglich stammt. Der Blog
und die Krake
sind also genauso richtig wie ihre Varianten. Sie fügen sich allerdings besser in das deutsche Deklinationssystem ein.
Woher stammt Krake
?
Das Wort Krake
stammt etymologisch aus dem Westnordischen, also von norwegischen oder isländischen Seefahrern, und wird zum erstenmal im 18. Jahrhundert erwähnt. Wikipedia erklärt sich die Bedeutung dieses Wortes so:
Der Name „Krake“ stammt aus dem Skandinavischen und steht für „entwurzelter Baum“, da die Arme wie Wurzeln in alle Richtungen davonragen.
Wikipedia: KrakeExterner Link zum Artikel bei Wikipedia.
Leider gibt es bei Wikipedia keinen Verweis darauf, woher diese Herkunft stammen soll. Wir kennen die Bedeutung von westnordisch kraki/
, können es aber nicht mit Baum
o.ä. in Verbindung bringen und beurteilen die Erklärung von Wikipedia unter Vorbehalt als volksetymologisch oder frei erfunden.
Im Isländischen steht kraki
primär für Stange
, also für etwas Langes und Dünnes, und übertragen für einen schlaksigen Kerl. Der Krake könnte also zu seinem Namen gekommen sein, weil er als Kopffüßler beim Schwimmen länglich aussieht oder wegen seinen langen Tentakeln.
Ebenfalls übertragen ist zudem die Bedeutung Schnabel
. In den westnordischen Sprachen findet sich der Begriff im Namen gewisser Vögel, zum Beispiel dem isländischen álmkraki
(ein Stärling). Diese Bedeutung ist so zu erklären, daß der Mund von Vögeln wie eine Stange aussieht (falls nicht die Flügelform namensgebend war).
Den Seeleuten könnte aufgefallen sein, daß auch Kopffüßler einen Schnabel haben. Hier fällt einem auch gleich die Krähe ein, norwegisch kråke
und isländisch kráka
. Ob hier Verwandtschaft vorliegt, ist etymologisch sehr schwer zu beurteilen, aber eher unwahrscheinlich.
Krähe, krähen, krächzen
sind allesamt von einem ausgestorbenen Verbum abgeleitet, das krächzen
bedeutete. Das paßt nicht zur oben gezeigten Wortgeschichte und würde alles auf den Kopf stellen.
Krake
im Nordischen?
Im Westnordischen ist krake
, so die norwegische Orthografie, und kraki
, so die isländische, ein schwaches maskulines Substantiv, wie sie auch das Deutsche kennt: der Same, der Friede, der Deutsche
.
Im Akkusativ, im Dativ, im Genitiv — diese Kasus faßt man unter dem Begriff Kasus obliqui (gebeugte Kasus) zusammen — und in der Mehrzahl nehmen die Wörter die Endung ∙en
an: der Samen, der Frieden, den/
.
Deshalb beugen viele inzwischen die Grundform so: der Samen, der Frieden
. Darin liegt wohl der Grund, warum sich die meisten für das weibliche Geschlecht entscheiden, wo die Endung ∙e
noch gut vertraut ist.
Deklination schwacher maskuliner Substantive in den germanischen Sprachen | |||||
---|---|---|---|---|---|
Nominativ | Obliqui | Mehrzahl | |||
Deutsch | der Krak∙e der Sam∙e |
den Krak∙en den Sam∙en |
die Krak∙en die Sam∙en |
||
Mittelhochdeutsch | — sam∙e |
— sam∙en |
— sam∙en |
||
Isländisch | krak∙i han∙i (Hahn) |
krakj∙a han∙a |
krakj∙ar han∙a |