Aufwendig oder aufwändig?
rechtschreibung
Aufwändig und aufwendig, Stängel und Stengel, Schänke und Schenke, überschwänglich und überschwenglich, einbläuen und einbleuen: Das Stammschreibungsprinzip der neuen Rechtschreibung.
Dauer: 49 Minuten.
- 00:00 Mißverständnisse über die Stammschreibung: Ist Stammschreibung etymologisches Schreiben?
- 03:30 Stammschreibung: Paragraf 13 des amtlichen Rechtschreiberegelwerks
- 13:23 Beispiel 1: Stängel und Stengel
- 19:16 Beispiel 2: Schänke und Schenke
- 22:36 Beispiel 3: überschwänglich und überschwenglich
- 24:53 Beispiel 4: einbläuen und einbleuen
- 33:22 aufwändig und aufwendig
-
38:55
Warum Duden entgegen der Präferenz des Regelwerks die Schreibung
aufwendig
empfiehlt
Video veröffentlicht am 07.05.2013 (63.50 MB).
Dieses Video ist Teil der Playlist rechtschreibung. Damit können Sie alle Videos zu diesem Thema mit dem Videoplayer auf Ihrem Computer (zum Beispiel VLC) streamen.
Aufwendig versus aufwändig in der amtlichen Rechtschreibung
Die geltende amtliche Rechtschreibung läßt sowohl aufwändig
als auch aufwendig
zu. In klassischer Rechtschreibung und im 19. Jahrhundert war aufwendig
gebräuchlich; aufwändig
kam gelegentlich vor und wurde erst im Laufe des 20. Jahrhunderts getilgt.
Stammschreibung → aufwändig
Aus der amtlichen Wörterliste, in der beide Schreibvarianten alphabetisch einsortiert sind, läßt sich keine Präferenz ableiten, aus dem übergeordneten Regelwerk allerdings schon:
[Vorschrift:] Für kurzes [ε] schreibt man
ästatte, wenn es eine Grundform mitagibt.[Ausführung:] Dies betrifft flektierte und abgeleitete Wörter wie:
Bänder,Bändel(wegenBand);Hälse(wegenHals);Kälte,kälter(wegenkalt);überschwänglich(wegenÜberschwang)Erläuterung 1: Man schreibt
Amtliche Rechtschreibung 2006, Paragraf 13Externer Link zum Regelwerk der amtlichen Rechtschreibung beim Rechtschreibrat (PDF)eoderäinSchenke/Schänke(wegenausschenken/Ausschank),aufwendig/aufwändig(wegenaufwenden/Aufwand).
Die Vorschrift schreibt die ä
-Schreibung vor, wenn eine Grundform mit a
existiert: Aufwand
⇢ aufwändig
.
Die Schreibung aufwendig
wird zudem in der Erläuterung erlaubt, weil sich mit aufwenden
auch eine Grundform mit e
findet. Wir erkennen darin keinen Sinn. Die Vorschrift besagt eindeutig, daß der Schreibende nach einer Grundform mit a
suchen und dabei ganz mechanisch vorgehen soll: Sind alle Laute bis auf den Vokal (a
statt [ε]) genau identisch, ist eine a-ä
zu schreiben. Brennen
ist mit e
zu schreiben, weil Brand
beim letzten Laut von brennen
abweicht.
Nach einer Grundform mit e
ist gar nicht zu suchen und die Ausnahme aufwenden
aus dogmatischer Sicht obsolet.
Typische Fälle der Stammschreibung
Die Wörter Stängel
und überschwänglich
müssen nach der Vorschrift mit ä
geschrieben werden, weil sich als Grundform Stange
und Überschwang
ergeben. Die in klassischer Rechtschreibung üblichen e-Stengel
und überschwenglich
sind nicht mehr ausnahmsweise erlaubt, weil sich heutzutage keine Grundformen mit e
finden.
Problematische Fälle der Stammschreibung
Problematisch ist die Schreibung Schänke
, weil es in der Gegenwart keine Grundform mit a
gibt. Der Schank
findet sich nur in Zusammensetzungen, die morphologisch länger (weiter abgeleitet) sind als die Schenke
. Weil es aber den Schenk
noch gibt, müßte Schenke
als einzige richtig sein. Duden empfiehlt wohl deshalb auch diese Schreibung.
Bei einbleuen
— die in der amtlichen Wortliste aufgeführte Form bläuen
gibt es als Simplex gar nicht — ist nur die Schreibung einbläuen
zulässig. Der Rechtschreibrat hält hier blau
für die Grundform, wohingegen es keine Form mit e
gibt. Problematisch ist an diesem Fall, daß bleuen
und blau
einander lexikalisch nicht berühren, wodurch auch bei Reue
(wegen rau
), Klemme
(wegen klamm
), Stelle (wegen Stall
), Heu
(wegen hauen
), Schelle
(wegen Schall
), retten
(wegen Ratte
), wenn
(wegen wann
) und Hecke
(wegen hacken/
) die Schreibung ä
erlaubt sein müßte. Ist sie aber nicht.
Es werden zudem noch Wörter mit ä
geschrieben, zu denen keine Grundform mit a
existiert: sägen/Säge
, schräg
, mähen
, Lärm
. Nach der Vorschrift sind all diese Wörter mit e
zu schreiben, in der Wortliste werden aber nur die Formen mit ä
aufgeführt. Die Vorschrift, deren Sinn darin liegt, die richtige Schreibung durch einfaches, mechanisches Vorgehen zu ermitteln, funktioniert nicht, weil sie nicht verläßlich zur richtigen Schreibung führt.
Pädagogisch problematisch ist zudem, daß die Vorschrift offenkundig zusammenhängende Wörter wie Henne
und Hahn
ausschließt, weil sich ihre Lautgestalt nicht völlig gleicht. Die Statt
scheint seit 1998 nicht mehr zu existieren, weil sie die amtliche Rechtschreibung sogar in der Wendung an Eides/
irrtümlich für ein Adverb (nicht Präposition!) hält, obwohl die Syntax augenfällig dagegenspricht. Dennoch wird die Stätte
weiterhin mit ä
geschrieben.
Besonders rätselhaft ist uns, warum schmecken
trotz Geschmack
und dem Mangel an einer Grundform mit e
weiterhin mit e
geschrieben wird. Wer einwendet, daß schmecken
kein nach der Vorschrift abgeleitetes Wort sei und Verben ohnehin nicht als abgeleitet gelten, sollte nach einer Erklärung dafür suchen, warum man zähmen, säugen, schwänzeln, schwänzen, bekränzen
nicht mit e
schreibt. Schwemmen
hat man in der amtlichen Wortliste vergessen, daher weiß niemand, wie man es richtig schreibt.
Stammschreibung und Etymologie
Betrachtet man alle Fälle, die von der Vorschrift erfaßt werden, kann kein Zweifel daran bestehen, daß mit Grundform nicht das Wort gemeint ist, von dem das zu schreibende historisch oder morphologisch (also tatsächlich) abgeleitet ist. Wie die folgenden Beispiele zeigen, ist es für den Laien in fast allen Fällen unmöglich, die Etymologie zu ermitteln:
Stengel und Stängel
Der Stengel wird Stängel
geschrieben (Stengel
ist nicht zulässig), weil es dazu ein Grundwort Stange
gibt. Tatsächlich ist Stengel aber wie die Stange
vom Verbum stingen
stechen, stoßen
abgeleitet und das Nomen agentis dazu — und selbstverständlich keine Verkleinerungsform, wie schlechte Fachbücher behaupten!—, das heute noch mit eingeengter Bedeutung als stinken
(sticht in der Nase) existiert, während man das verwandte stechen
für stechen, stoßen
verwendet. Vergleiche englisch sting
Stachel
und to sting, stung, stung
stechen
.
Schenke und Schänke
Die Schenke ist weder von ausschenken
noch von Ausschank
abgeleitet.
Die gesamte Wortsippe geht auf das Kausativum-schenken
(aus germanisch skank-ija-
(den Krug) schräg halten ⇢ Flüssigkeit einschenken
; auch Schenkel
, englisch shank
und Schinken
gehören dazu) zurück, seit jeher ein schwaches Verb mit Rückumlaut (ich schancte
, heute: ich schenkte
).
Aus etymologischer Sicht müßten alle Wörter dieser Sippe mit e
geschrieben werden: der Schenk
(althochdeutsch scenco
), das Geschenk
und der Schenkel
. Der -schank-
Ausschank, Schankwirt, Schankwein
ist erst im Mittelalter durch Rückbildung zu ich schancte
ich schenkte ein
entstanden.
Überschwenglich und überschwänglich
Bei überschwenglich läßt sich nicht ermitteln, ob es wie Überschwang
direkt von überschwingen
abgeleitet ist oder erst sekundär von Überschwang
. Da der Laie das Verbum überschwingen (Nibelungenlied A=1990,1 B=2050,1 C=2108,1: Irinch der vil chüene den schilt uber <houbet> swanch
Iring, der Tapfere, den Schild blitzschnell über seinen Kopf schwang
) als kühnes Fechtmanöver gar nicht kennt, bleibt ihm das Dilemma verhohlen.
Sehr viele Substantive sind erst im Neuhochdeutschen durch Rückbildung entstanden: sorgfältig
⇢ Sorgfalt
. Hier wäre für jedes einzelne Wort der Entstehungsprozeß zu ermitteln, was selbst für Fachleute sehr schwierig ist. Die amtliche Rechtschreibung schreibt sogar die Schreibung (ein)bläuen
vor, weil es ein Grundwort blau
gibt, das zweifelsfrei nicht mit bleuen
verwandt und vor 1998 auch nie von Deutschsprechern mit ihm in Verbindung gebracht wurde.
Stammschreibung
Unter Grundwort ist nicht die historische Ableitungsbasis zu verstehen, sondern die morphologisch kürzeste heutzutage existierende Wortform mit gleichlautendem Stamm, der nach der Willkür des Rechtschreibrates einmal zum selben Lexem gehört, ein andermal nicht. Morphologisch haben Aufwand
und aufwenden
die gleiche Länge, deswegen wird wohl auch die e-Schreibung erlaubt, obwohl das nach der Vorschrift nicht nötig wäre.
Die Stammschreibung ist nicht historisch dümmlich oder etymologisch falsch, wie ihr oft vorgeworfen wird, sondern gegenwartssprachlich. Gegenwartssprache ist das einzige, was ein Rechtschreibregelwerk beim Deutschsprecher voraussetzen darf, wenn es wie die Reformschreibung auf dem Mitdenken der Schreibenden gründet.
Das Regelwerk läßt auch im Unklaren, wie weit sich die Stammschreibung erstreckt. Im Falle von Schenke
und Stengel
überschreitet sie die Wortbildung. Wir schreiben Reue
, obwohl ich dazu mit dem gleichen Recht das Grundwort rau
entdecke, das blau
neben bleuen
rückt. Hier werden etymologisch und lexikalisch nicht zusammenhängende Wörter zusammengestellt.
Der Plural von Wand
schreibt sich Wände
, beim Lemma Wende
wurde anscheinend eine Wortbildungs- oder Bedeutungsgrenze überschritten, die bei inwendig
und auswendig
nicht gilt, obwohl es gegenwartssprachlich einwärts gewandt
und in- und auswandig
(an der Innenseite und der Außenseite) näher steht als einwenden
(die wahre Etymologie ist unklarer als es einen Kluge/Seebold glauben lassen).
aufwenden, Aufwand, aufwendig
Aufwenden und Aufwand sind erst seit dem 18. Jahrhundert belegt. Es läßt sich nicht zweifelsfrei beurteilen, welche Form von welcher abgeleitet ist.
Die Belege für aufwendig erscheinen etwas später. Es ist entweder jünger, wobei man nicht ermessen kann, ob es von aufwenden
oder Aufwand
abgeleitet wurde, oder unbelegt die älteste der drei Formen ist (beachten Sie, daß Sorgfalt
von sorgfältig
durch Rückbildung abgeleitet ist und nicht umgekehrt).
Aufwendig
wird als Begriff bis zum zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts spärlich verwendet und mit Ausnahmen auswendig
geschrieben. Daraus läßt sich aber nicht mit Gewißheit ableiten, daß aufwendig
von aufwenden
abgeleitet ist.
Empfehlung zur Rechtschreibung
Das Wörterbuch Wahrig gibt keine Empfehlung ab, sondern führt beide Schreibungen auf. Ebenso Pons, allerdings mit dem Hinweis, daß man seine Wahl davon abhängig machen sollte, ob man aufwändig/
zu Aufwand
oder zu aufwenden
stellt. Die aus der Struktur der Vorschrift hervorgehende Präferenz für aufwändig
entgeht ihm.
Duden empfiehlt ohne Angabe von Gründen aufwendig
. Wir vermuten dahinter dieselben guten Gründe, die wir unten anführen, kritisieren aber, daß ein so verbreitetes Wörterbuch seine Benutzer ohne Hinweis von der amtlichen Rechtschreibung wegführt (dies ist keine Ausnahme). Sie benutzen es schließlich aus dem einen Wunsch, regelkonform zu schreiben. Duden weist aufwändig
als Variante aus, obwohl es die Hauptschreibung und aufwenden
die Variante ist.
Unsere Empfehlung lautet:
Empfehlung
Schreiben Sie aufwändig
, wenn Sie nach dem Geist der amtlichen Rechtschreibung schreiben wollen.
Schreiben Sie aufwendig
, wenn Sie wie wir und wahrscheinlich auch Duden die beiden folgenden Gründe für wichtiger halten:
- Alle anderen Adjektive auf
∙wendig
werden mite
geschrieben:wendig, inwendig, auswendig, abwendig, lichtwendig, notwendig
. - Die rückumlautenden schwachen Kausativa wie
rennen, ich rannte
undbrennen, ich brannte
(trotzBrand
) und einige andere Kausative wiedecken, ich deckte
werden aus Angst vor dem Lynchmob weiterhin mit e-Umlaut geschrieben. Dazu gehört auchaufwenden, ich wandte auf
. Alle e-Formen dieses Verbsaufwenden, ich wende auf, als ob ich aufwendete
sind Umlautformen. Mitaufwändig
würde der phonologisch und grammatikalisch identische Laut anders geschrieben als in allen anderen Formen der Stammgruppe. Das gleiche gilt natürlich auch fürSchenke, schenken, Geschenk
.