Ob Klara ihn liebte? Ob ihn Klara liebte?
syntax
Wo stehen Reflexivpronomina (rückbezügliche Fürwörter) und Personalpronomina (persönliche Fürwörter) im Satz? Mit einer einfachen Regel rückt man Pronomen und Substantive an die richtige Stelle.
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Reihenfolge substantivischer und pronominaler Satzglieder
In welcher Reihenfolge stehen Substantive und Pronomina in einem Satz, wenn sie direkt aufeinandertreffen? Das geschieht sowohl im Hauptsatz als auch im Nebensatz und kann einen beim Formulieren ins Grübeln bringen. Der falsche Weg, die substantivischen und pronominalen Satzglieder richtig anzuordnen, besteht darin, sich Sätze in mehreren Varianten laut vorzusprechen und zu lauschen, was richtiger klingt. Der richtige Weg ist das Abarbeiten einer einfachen Regel, die wir Ihnen hier vorstellen möchten.
Reihenfolge im Hauptsatz
Im Hauptsatz steht das Verb immer an zweiter Stelle, das Subjekt davor und das Objekt dahinter:
- Peter ißt ein Ei.
Solange das Verb an der zweiten Stelle bleibt, kann man die anderen Satzglieder vertauschen.
- Ein Ei ißt Peter.
Der Satz ist jetzt aber nicht mehr unmarkiert, also neutral. Das Ei ist prominent und betont. Das ist immer der Fall, wenn das Subjekt nicht an erster Stelle steht, denn im Deutschen gilt die Reihenfolge:
- Subjekt
- Prädikat
- Dativ-Adverbiale
- Objekt (immer im Akkusativ)
- andere Adverbialia
Zum Beispiel:
Man kann auch Subjekt und Adverbiale vertauschen und dabei das Adverbiale hervorheben:
Durch die Umstellung trifft nun das pronominale Objekt ihn
auf das substantivische Subjekt Helga
. In welcher Reihenfolge stehen Pronomen und Substantiv?
Reihenfolge im Nebensatz
Dasselbe Problem ergibt sich in Nebensätzen grundsätzlich, weil das Verb hier im Deutschen von der zweiten an die letzte Stelle rückt.
Regel
Was vorne und was hinten steht, läßt sich nicht durch lautes Vorsprechen ermitteln, weil man dabei betont, was eigentlich unbetont ist. Die korrekte Reihenfolge wird allerdings genau damit definiert. Mit einer einfachen Regel, die aus zwei Direktiven besteht, läßt sich die richtige Reihenfolge im Handumdrehen bestimmen:
Die untere Direktive gilt nur, wenn beide Satzglieder entweder Substantive oder Pronomina sind:
Die obere Direktive hebt die untere auf, wenn das eine Satzglied ein Substantiv ist und das andere ein Pronomen:
Man darf also nicht von der Syntax zweier Glieder mit gleicher Wortart auf die Syntax zweier unterschiedlicher Satzglieder unterschiedlicher Wortart schließen.
Hier möchten wir der oft geäußerten Ansicht widersprechen, Fürwörter würden Hauptwörter ersetzen, wie die Begriffe Fürwort und Pronomen nahelegen. Wer ein Pronomen gebraucht, gebraucht ein Pronomen. Sie ersetzen Substantive nicht, sondern referieren auf sie.
Ausnahme von der Regel
Es gibt eine zwei Ausnahmen von der Regel. Die erste Ausnahme ist statarisches Sprechen: Man denkt noch während des Formulierens der Aussage nach und tastet sich im Satz Schritt für Schritt voran. Oder man möchte betonen, wer Subjekt und wer Objekt ist.
- Wenn ich recht überlege, glaube ich gar nicht, daß Klara ihn liebt, sondern daß es vielmehr umgekehrt ist!
- Richter:
Herr Zeuge, Sie behaupten also, daß die Angeklagte (Richter deutet zur Anklagebank) ihn (Richter deutet zum Nebenkläger) gar nicht liebt?
Auch schriftsprachlich kann man das Pronomen durch Nachstellung betonen und damit AuszeichnungAuszeichnung zur Betonung vermeiden:
- Kursivierung unnötig: Petra wußte, daß Klara ihn liebte und nicht Hugo.
- Besser: Petra wußte, daß Klara ihn liebte und nicht Hugo.
Die Objektform des Personalpronomens wird einem substantivischen Subjekt nicht vorangestellt, wenn man dadurch Subjekt und Objekt nicht mehr identifizieren kann. Betroffen sind aber nur weibliche Formen:
Beide Sätze klingen durch die Regel gleich, haben aber entgegengesetzte Bezüge. Wenn also die Gefahr besteht, Subjekt mit Objekt zu verwechseln, kann man das pronominale Objekt hinter das substantivische Subjekt stellen.
Man darf den Satz aber nicht isoliert betrachten. Verwechslung besteht nur, wenn selbst im Kontext des Vorangegangenen unklar bleibt, wer wen umarmt. Das kommt aber in der Praxis so gut wie nie vor. Wenn doch, deutet das darauf hin, daß der ganze Absatz ungünstig formuliert ist.
Hintergrund
Warum stehen Pronomina vor Substantiven, auch wenn das der normalen Wortstellung widerspricht?
Die obere Direktive ist alt, sehr alt. Wir können sie bis zu den ältesten Schriftzeugnissen nachweisen, die uns erhalten sind. In der Sprache der alten Ägypter steht wie bei uns das Subjekt vor dem Prädikat:
Der Satz ist ein sogenannter Adverbialsatz. Er besteht aus einer einleitenden Partikel jw
, die hier nicht von Bedeutung ist, aus dem Subjekt anch was
Leben [und] Heil
und dem Prädikat, das nur aus der Präpositionalphrase n nsw
für König
besteht. Er bedeutet also: Leben und Heil sind für den König.
Gemeint ist damit der Wunsch, daß Leben und Heil dem König von den Göttern gewährt werden mögen.
Ersetzen wir nun das Substantiv nsw
König
durch ein Pronomen, ändert sich die Reihenfolge der Glieder, obwohl die Syntax des Ägyptischen außerordentlich starr ist. Das Pronomen n k
für dich
springt nach vorn:
Es heißt also wörtlich übertragen: Leben und Heil für den König
, aber Für dich Leben und Heil
. Das Prinzip, daß das Kürzere vor dem Längeren steht, finden wir als universales Sprachgesetz und konstant und allgemein in den indogermanischen Sprachen, vom Griechischen und Lateinischen bis zu den modernen Sprachen. Die oben gezeigte Regel läßt sich seit dem Althochdeutschen in allen Stufen des Deutschen nachweisen:
Dahinter stehen mehrere prosodische Gesetze, von denen wir das Behaghelsche Gesetz als wichtigstes herausgreifen wollen.
Das Behaghelsche Gesetz ist das Gesetz der wachsenden Glieder. So sagen wir Titel, Thesen, Temperamente
, aber nicht Thesen, Temperamente, Titel
. Wenn die Glieder nicht von vorne bis hinten anwachsen, empfinden wir das als unprosodisch und unharmonisch, wie eine unvollständige Kadanz in der Musik.
Man findet dieses Prinzip in allen modernen Sprachen Europas. Interessant ist das Englische:
Der Satz ist korrekt, aber die Konstruktion etwas außer Gebrauch geraten. Das Personalpronomen him
ist eine alte Dativform und im Beispiel auch so gemeint. Zugleich wird sie aber auch als Objektform verwendet: I love him
. Deswegen wird der Empfänger im Englischen heute im allgemeinen durch eine Präpositionalphrase ausgedrückt, wo das Deutsche nach wie vor den Dativ verwendet:
Die Präpositionalphrase ist immer länger als ein Wort und wird daher niemals vorgezogen wie eine reine Dativform. So kommt es, daß es im Englischen keine Rolle spielt, ob von der Präposition ein Pronomen oder ein Substantiv abhängt. Im Deutschen ist das aber nicht so.
Beispiele für das Deutsche
Sehen wir uns Beispiele für die Stellung des Reflexivpronomens und des Personalpronomens an:
Auf den ersten Blick könnte man wie die Redaktion des Dudens (siehe Video) glauben, beide Varianten wären zulässig und nur stilistische Varianten voneinander. Tatsächlich ist die zweite aber nur korrekt, wenn sich
betont werden soll — was hier aber sinnlos wäre.
Heute sieht man einige Menschen die zweite Variante wählen. Analysiert man die Belege, fallen zwei Umstände auf: Es geschieht nur beim Schreiben. Wer spricht, hat keine Zeit, auf falsche Gedanken zu kommen, und macht es natürlich richtig. Falsch findet man es zudem nur in Texten, die stilistisch insgesamt einen schlechten Eindruck machen, zugleich aber auch ambitioniert wirken.
Wir haben es also mit einem bildungsbürgerlichen Irrtum zu tun. Der Verfasser möchte korrektes Deutsch schreiben und schließt irrtümlich von der Stellung der Glieder gleicher Wortart auf die Stellung von Gliedern verschiedener Wortart:
Bei diesem Befund ist nicht anzunehmen, daß ein prosodisches Gesetz, das offenkundig seit Erfindung der Sprache universal und in der gesprochenen Sprache und in geschriebener Sprache in normalen und guten Texten unverändert wirkt, langsam aufhört zu funktionieren und beide Varianten zulässig sind. Daß zwei Varianten unterschiedslos (unmarkiert) nebeneinander existieren, ist sprachtypologisch ohnehin abwegig.
Oben haben wir die zweite Variante nur zugelassen, wenn das Reflexivpronomen sich
betont werden soll. Aus diesem Grund kann man durch lautes Aufsagen beider Möglichkeit nicht die richtige ermitteln. Man neigt sich dadurch eher zur falschen hin. Gehen Sie daher mechanisch vor. Wenn bei zwei direkt nebeneinander stehenden Satzgliedern das eine ein Substantiv ist und das andere ein Pronomen, dann stellen Sie das Pronomen vor das Substantiv; ignorieren Sie dabei, welches das Subjekt ist und welches das Objekt.
Reflexivpronomen
Das Reflexivpronomen ist das rückbezügliche Fürwort. Das Objekt der Handlung ist also mit dem Subjekt identisch:
Beide Glieder sind substantivisch. Hier muß nach der unteren Direktive das Subjekt vor dem Objekt stehen. Die erste Variante ist richtig, die zweite falsch.
Pronomen und Substantiv. Nach der oberen Direktive kann nur die zweite Variante richtig sein. Die erste ist falsch und Bildungsbürgerdeutsch.
Was für sich
gilt, gilt grundsätzlich für alle Form des Reflexivpronomens, aber nur in der dritten Person kann es dazu kommen, daß ein Reflexivpronomen auf ein Substantiv trifft.
Personalpronomen
Das Reflexivpronomen ist nur eine spezielle, rückbezügliche Variante des Personalpronomens. Auch dafür gilt unsere Regel in vollem Umfang:
Beide Glieder sind pronominal. Es gilt die untere Direktive: Das Subjekt steht vor dem Objekt.
Hier muß das Pronomen vor dem Substantiv stehen. Die zweite Variante ist richtig, die erste falsch.
Einfache Sache. Das Subjekt muß vor dem Objekt stehen, weil beide pronominal sind.
Wer bei dieser Entscheidung die Regel nicht kennt und durch lautes Aufsagen auf die richtige Wortstellung kommen will, hat keine Chance. Er wird sich wohl für die erste entscheiden. Richtig ist aber die zweite.
Da kaum jemand die Regel kennt, hat das Falsche in diesem konkreten Fall schon eine etwas breitere Masse hinter sich, so daß man ihm eine gewisse Existenzberechtigung zusprechen könnte — wenn auch nicht stilistisch, so doch zumindest linguistisch. Aber dieser bildungsbürgerliche Irrtum steht dennoch gegen eine prosodische Kraft, die so weit wirkt wie die Gravitation in der Physik.
Der Irrtum wird sich langfristig nicht durchsetzen. Natürlich auch deshalb, weil er sich bei wenigen konkreten Fällen weiter ausbreitet, dagegen aber das System in seiner Gesamtheit steht.