Perfekt oder Präteritum?
verb
Die deutsche Sprache kennt drei Tempussysteme, eines fürs Sprechen, ein anderes für fiktionale Texte und schließlich eines für nichtfiktionale Texte. Sie machen unterschiedliche Gebrauch von den Vergangenheitsformen Präteritum (Imperfekt) und Perfekt. In diesem Tutorial sehen wir uns an, wie die Vergangenheitsformen entstanden sind, wie sie gebraucht werden und was sie vom englischen Simple past und Present perfect unterscheidet. Außerdem ergründen wir, welche Rolle die Vorsilbe ›ge∙‹ im deutschen Zeitengebrauch spielt.
Dauer: 106 Minuten.
- 00:00:00 Regeln für die Verwendung von Perfekt und Präteritum im Deutschen
- 00:08:05 Stellung des Adjektivs
- 00:15:35 Tempussystem im Urgermanischen
-
00:22:50
saß
versusgesaß
: Imperfektives und perfektives Präteritum im Mittelhochdeutschen -
00:30:08
Das Perfektivpräfix
ge∙
im Deutschen - 00:32:35 Verbalaspekt: Perfektiv versus imperfektiv
- 00:40:45 Tempussystem im älteren Deutsch
- 00:41:32 Imperfekt oder Präteritum? Warum hat die einfache Vergangenheit zwei Namen?
-
00:44:24
Entstehung des Perfekts mit dem Hilfsverb
haben
im Deutschen -
00:53:10
Perfektbildung mit dem Hilfsverb
sein
-
00:58:55
Welches Hilfsverb bei
setzen, stellen, legen
? - 01:03:10 Entstehung des heutigen Tempussystems mit Präteritum und Perfekt
- 01:13:14 Vergangenheit in klassischen literarischen Texten
- 01:14:30 Vergangenheit in modernen literarischen Texten
- 01:17:11 Vergangenheit in der gesprochenen Sprache
- 01:19:15 Vergangenheit in nichtliterarischen Texten
Tempussystem im Deutschen
In den germanischen Sprachen wie dem Englischen, dem Schwedischen und dem Isländischen gilt ein Tempussystem für alle Sprech- und Textarten. Nur das Deutsche hat drei verschiedene Tempussysteme:
Perfekt und Präteritum
im gesprochenen Deutsch
Im gesprochenen Deutsch werden alle Handlungen und Zustände, die in der Vergangenheit endeten, durch das Perfekt ausgedrückt:
- Ich habe abgewaschen.
- Ich bin krank gewesen.
Was nicht eindeutig vergangen ist, steht im Präsens (Nichtvergangenheit als Gegenmenge zum Perfekt). Das umfaßt alles, was sich gerade jetzt ereignet ich wasche gerade ab
, was grundsätzlich oder zeitunabhängig gilt Deutschland liegt in Europa, Jogi Löw ist Bundestrainer, Kriemhilt ist hübsch
sowie alles, was sich noch ereignen wird morgen gehe ich ins Kino
.
Das Perfekt als Vergangenheitstempus der gesprochenen Sprache wurde von den Sprechern des Kernhochdeutschen (südlich der Benrather Linie) erschaffen. Im niederdeutschen Sprachraum hat es sich erst in den letzten fünfzig Jahren, also dem Zeitalter der Massenkommunikation, durchgesetzt. Dort galt zuvor das Tempussystem nichtliterarischer Texte (siehe unten).
Dieses niederdeutsche System ähnelte dem System in den anderen germanischen Sprachen (protestantischer Lebensraum), während das hochdeutsche System im Süden den Tempussystemen im katholischen Lebensraum entspricht (was Bismarck als ultramontan
bezeichnete). So entwickelte sich auch in den romanischen Sprachen das zusammengesetzte Perfekt zum Vergangenheitstempus im Mündlichen, im Französischen zum Beispiel das passé composé:
- J’ai ecrit une lettre.
- Ich habe einen Brief geschrieben.
Die eher protestantische Nordhälfte Europas erzählt Vergangenes also im Präteritum, die katholische Südhälfte im Perfekt. Ein Motiv für die Aufteilung zwischen Nord und Süd könnte im Lateinischen liegen. Dort ist das Perfekt das Tempus, in dem Vergangenes erzählt wird. Sogar das Tempussystem des Irischen ähnelt eher dem Lateinischen als dem Englischen, was aufgrund der Geschichte Irlands kein Wunder ist.
Perfekt und Präteritum in literarischem Deutsch
Literarisches Deutsch ist heute in der Masse das Deutsch des Romans. Dort spricht die Erzählstimme grundsätzlich im Präteritum. Dieses Präteritum ist hier kein Vergangenheitstempus, sondern verrichtet dieselbe Aufgabe wie das Präsens in der gesprochenen Sprache.
Das Präteritum als Erzählzeit des Romans berichtet nicht von Vergangenem, sondern schildert die erzählte Zeit als Gegenwart und Wirklichkeit der Geschichte. Die Handlung spielt sich unmittelbar vor den Augen des Lesers ab. Spielt der Roman im 14. Jahrhundert, wird nicht dem Leser von einer fernen Vergangenheit berichtet. Es ist umgekehrt: Der Leser steht mitten im 14. Jahrhundert und betrachtet die Vorgänge, die sich um ihn herum abspielen. Daß es so und nicht umgekehrt ist, wird bei Romanen deutlich, die in der Zukunft spielen. Auch sie werden im Präteritum erzählt.
Das Vergangenheitstempus des Romans ist heutzutage das Plusquamperfekt (oft unzutreffend als Vorvergangenheit bezeichnet). Was relativ zur erzählten Zeit in der Vergangenheit liegt, steht in diesem Tempus:
- Nachdem er gefrühstückt hatte, zog er sich an.
- Kurz nachdem er eingeschlafen war, erwachte er durch einen Knall.
Das Plusquamperfekt kann wie das Perfekt in der gesprochenen Sprache nur ausdrücken, was Vergangenheit ist. Ist der Vorgang in der erzählten Zeit noch nicht abgeschlossen, steht das Präteritum:
- Richtig: Er lebte seit zehn Jahren in Berlin.
- Falsch: Er hatte seit zehn Jahren in Berlin gelebt.
Dies betrifft aus sachlichen Gründen nur imperfektive Verben, also Handlungen und Zustände, die in kein Ergebnis münden. Man verwendet das Plusquamperfekt, wenn die Handlung verneint ist (eine noch junge Entlehnung des Perfekts in nichtliterarischen Texten, siehe unten):
- Der Kommissar blickte ratlos auf den Stadtplan von Berlin. Er war sein ganzes Leben noch nie dort gewesen.
Das Plusquamperfekt als Tempus der Vergangenheit ist eine recht neue Errungenschaft. In der klassischen Dichtung herrscht allein das Präteritum:
O mein Sohn, mein Sohn! Du brichst dir selbst den Stab. Sehr reizend malst du ein Glück, das — du mir nie gewährtest.
Friedrich Schiller: Don Karlos. 1787, 2. Akt, 2. Auftritt.
Das Präteritum schildert in klassischer und moderner Literatur auch, was grundsätzlich und zeitunabhängig gilt.
- Am Morgen rasierte er sich, wie es Männer eben taten.
Falsch wäre das Präsens … wie es Männer eben tun
. Das Präsens existiert in einem Roman nicht, denn grundsätzlich kennt die Erzählstimme eines Romans nur Präteritum und Plusquamperfekt. Präsens und Perfekt kommen nur in wörtlicher Rede der Figuren vor, wenn die Figuren wie in gesprochener Sprache sprechen (in Unterhaltungsliteratur gängig).
In höherer Literatur läßt die Erzählstimme die Figuren nicht so ungefiltert sprechen. In der Figurenrede kann hier das Zeitensystem literarischer Texte (ohne Perfekt) oder nichtliterarischer Texte (mit Perfekt) auftreten. Im äußersten Fall verweigert der Erzähler den Figuren gänzlich, zu Wort zu kommen. Er berichtet dann im Konjunktiv 1, was die Figuren im Wortlaut gesagt haben (indirekte Rede), oder kann noch weiter gehen und das Gesagte in anderen Worten wiedergeben.
Ein Roman ist eine Erzählung. Die Ereignisse werden von der Erzählstimme aufgezählt. Sie blickt dabei grundsätzlich nicht in die Zukunft, weswegen der Roman (bis auf wörtliche Rede im Dialog) kein äußerliches Futur kennt.
Nur die Figuren selbst können sich Zukünftiges ausmalen oder vornehmen. Ihre Gedanken werden von der Erzählstimme vorgetragen. Sie sind deshalb innerlich abhängig und stehen im Konjunktiv der innerlichen AbhängigkeitInterner Link: Wann verwendet man den Konjunktiv 1? Was ist innerliche Abhängigkeit?, der hier allerdings nicht wie sonst werde machen
lautet, sondern würde machen
, weil das Grundtempus (die Gegenwart der Erzählung) das Präteritum ist:
Zum innerlichen Futur im Roman gibt es ein eigenes
Tutorial.
Tempus im Roman
.
- Nachdem er gefrühstückt hatte, verließ er das Haus. Am Nachmittag würde er ins Kino gehen.
Auch eine äußerliche Beschreibung mit einer Modalkonstruktion ist möglich:
- Nachdem er gefrühstückt hatte, verließ er das Haus. Am Nachmittag wollte/mußte er ins Kino gehen.
Eine kleine Änderung macht daraus erlebte Rede:
- Nachdem er gefrühstückt hatte, verließ er das Haus. Am Nachmittag konnte er ins Kino gehen.
Diese Beschränkungen sind oft Quell für Perspektivfehler. Wenn in einem Unterhaltungsroman keine Spannung entsteht, greifen schlechte Autoren oft auf das böse Omen als mißverstandenes ForeshadowingExterner Link zu Wikipedia: Foreshadowing zurück, statt die Prämisse der Geschichte zu verändern.
- Nachdem er gefrühstückt hatte, verließ er das Haus. Aber das sollte er noch bitter bereuen.
Das ist nur bei einem allwissenden Erzähler möglich. In modernen Unterhaltungsromanen folgt der Erzähler dem Protagonisten aber meist wie ein Kameramann hintendrein oder ist sogar der Protagonist (Ich-Erzähler). Solche Erzählstimmen kennen die Zukunft nicht.
Foreshadowing ist nur mit dem Modalverb sollen
möglich, das hier keine Verpflichtung beschreibt, sondern wie im Mittelalter die Zukunft ich sol si mīden beide — Nibelungenlied, Str. 16.4: ich werde beide meiden
. Die folgende Konstruktion ist falsch:
- Nachdem er gefrühstückt hatte, verließ er das Haus. Aber das würde er noch bitter bereuen.
Der Konjunktiv macht die Vorausschau innerlich abhängig und zum Gedanken der Figur. Die kann von diesem Schicksalsschlag in der Zukunft allerdings nichts ahnen.
Romane im Präsens
Neben dem Präteritum kommt auch das Präsens als Erzähltempus vor. In diesem Fall steht die Vergangenheit statt im Plusquamperfekt im Perfekt:
- Nachdem er gefrühstückt hat, verläßt er das Haus.
Zum Tempussystem im Roman, zum Gebrauch der Zeiten in Rückblenden und Vorausschauen, gibt es ein eigenes Video-
Perfekt und Präteritum in nichtliterarischen Texten
Als dritte Gattung bleiben nichtliterarische Texte. Darin fallen alle Sachtexte, Alltagstexte, Wissenschaftstexte und der Journalismus. Das Vergangenheitstempus ist hier das Präteritum; die Zukunft steht im Futur. Zeitunabhängiges oder Gegenwärtiges berichten Präsens und Perfekt. Das Präsens kann alle Vorgänge schildern, sowohl imperfektive als auch perfektive.
Imperfektiv ist ein Vorgang, der nicht in ein Resultat mündet, das sich vom Anfang unterscheidet, sondern einfach endet, wie er begonnen hat: schlafen, leben, wachen, betrachten.
Perfektive Vorgänge verändern sich dauernd und münden in ein Ergebnis: einschlafen, sterben, erwachen, erblicken
.
Die Unterscheidung ist im modernen Deutsch lexikalisch. Viele Verben sind entweder imperfektiv oder perfektiv. Diese tragen oft perfektive Vorsilben wie:
- er∙
erblicken, erlernen, erkennen
vs.blicken, lernen, kennen
- ver∙
vergessen, verkennen, verlernen
- ge∙
geraten, gedenken
vs.raten, denken
Im älteren Deutsch gab es dagegen zwei Konjugationen. Die Formen imperfektiver Verben konnten durch das Präfix ge∙ perfektiviert werden: ich sah
(dauerhaftes Sehen) versus ich gesah
ich erblickte
, ich saß
versus ich gesaß
(heute: setzte mich
).
So dichtet Walter von der Vogelweide:
Walthēr von der Vogelweide | |
---|---|
Original | Übersetzung |
Ich saz ūf einem grüenen lē | Ich saß auf einem grünen Hügel, |
dā entsprungen bluomen unde klē | wo Blumen und Klee sproßen, |
zwischen mir und jenem sē | zwischen mir und dem See. |
der ougenweide was dā mē | Der Augenweide gab es noch viel mehr, |
dā wir schapel brāchen ē | wo wir einst Blumenkränze machten, |
dā līt nū rīfe und ouch der snē | wo jetzt Reif und Schnee liegt. |
daz tuot den vogellīnen wē | Das tut den Vögellein weh. |
Dieses Sitzen verstehen wir auf Anhieb. Nicht jedoch das hier:
Walthēr von der Vogelweide | |
---|---|
Original | Übersetzung |
Dō der sumer komen was | Als der Sommer da war |
und die bluomen dur daz gras | und die Blumen durch das Gras |
wünneclichen sprungen | wonniglich sprossen |
aldā die vogele sungen | überall sangen die Vögel. |
dō kom ich gegangen | Da kam ich gegangen |
an einen anger langen | an einen langen Anger, |
dā ein lūter brunne entspranc | wo ein klarer Bach entsprang. |
vor dem walde was sin ganc, | Vor dem Walde verlief er, |
dā diu nahtegale sanc | wo die Nachtigall sang. |
Bī dem brunnen stuont ein boum | Bei dem Bach stand ein Baum, |
dā gesach ich einen troum: | da gesah (= erblickte) ich einen Traum: |
ich was von der sunnen | Ich war aus der prallen Sonne |
entwichen zuo dem brunnen | gegangen zu dem Bach, |
daz diu linde maere | damit mit die besagte Linde |
mir küelen schaten bære | kühlen Schatten spende |
Bī dem brunnen ich gesaz | Bei dem Bach gesaß ich (= setzte ich mich), |
mīner sorgen ich vergaz | vergaß meine Sorgen |
schier entslief ich umbe daz. | (und) schlief dabei sogleich ein. |
Hier unterscheidet sich das Mittelhochdeutsche deutlich von unserem Deutsch: Man gesaß, wo man sich heute setzt. Man gesah, wo man heute erblickt.
Dieses System ist aber kein Merkmal des höfischen Mittelhochdeutschen; es reicht weit in die Vergangenheit der deutschen Sprache zurück. Man findet es auch im ältesten Deutsch:
Althochdeutsch | |
---|---|
Original | Übersetzung |
Sō mi thes uundar thunkit huuō it sō giuuordan mugi | So dünkt es mich wunder, wie es so werden möge, |
sō thu mid thīnun uuodun gisprikis | wie du es mit deinen Worten ge∙sprichst (= aussprichst). |
Das ging in allen Tempora, von denen es damals nur zwei gab: Präsens und Präteritum. Perfektivierte Präsensformen haben Zukunftsbedeutung, weil sie ja gesagt werden, während der Vorgang sich vollzieht. Dabei muß das Resultat am Ende zwangsläufig in der Zukunft liegen.
Nibelungenlied | |
---|---|
Original | Übersetzung |
Sīt mir vrou Kriemhilt nimmer wirdet holt | Da mir Frau Kriemhilt ohnehin nie mehr holt werden wird, |
sō muoz ouch hie belīben daz Sīfrides golt. | deshalb muß auch Sigfrieds Gold hierbleiben. |
Zwiu sold ich mīnen fīnden lān sō michel guot | Wozu sollte ich meinen Feinden ein so großes Vermögen leihen? |
Ich weiz vil wol, waz Kriemhilt mit disem schatze getuot. | Ich weiß ganz genau, was Kriemhilt damit anstellen wird (damit vorhat, damit tun wird). |
Das Perfekt ist das Gegenteil zum Präfix ge∙
: Es imperfektiviert perfektive Verben und ist deshalb nur bei solchen Verben möglich. Grundsätzlich können perfektivierte Verben nur unter einer Bedingung imperfektiviert werden: Der Vorgang selbst muß zurückliegen, also vollendet sein. Das Resultat gilt dagegen in der Nichtvergangenheit:
- Ich habe die englische Sprache erlernt.
Hier ist der Vorgang des Erlernens vollbracht. Das Perfekt sagt als Tempus der Nichtvergangenheit, daß man die englische Sprache jetzt oder grundsätzlich beherrscht.
Viele Grammatiken und Sprachratgeber wie Wolf Schneider bringen bedauerlicherweise ein Pseudoperfekt als Beispiel. Ein unechtes Perfekt liegt vor, wenn Vorgang und Resultat lexikalisch nicht identisch sind:
- Er spricht fließend englisch. Kein Wunder, denn er hat zehn Jahre in London gelebt.
Sachlich ist dagegen nichts einzuwenden: Wer zehn Jahre in London lebt, lernt bestimmt Englisch. Lexikalisch ist das Beherrschen der englischen Sprache jedoch nicht das Ergebnis des Lebens identisch (anderes Wort).
Das Beispiel ist kein Beispiel für das Perfekt. Denn es kann auch das Präsens begründen. Lebt man noch in London, heißt es:
- Er spricht fließend englisch. Kein Wunder, denn er lebt seit zehn Jahren in London.
Das Perfekt im ersten Fall ist also in Wahrheit kein Schriftperfekt, sondern ein eingeschlepptes Perfekt aus dem gesprochenen Deutsch. Denn nur in gesprochenem Deutsch ist das Perfekt wie in diesem Beispiel ein Vergangenheitstempus. Genau das ist das Schriftperfekt jedoch nicht: Es schildert einen Zustand als imperfektive Handlung in der Gegenwart.
Deutsches Perfekt
und englisches present perfect
Worin unterscheidet sich das Perfekt im Deutschen vom present perfect im Englischen?
Oft heißt es, das Englische wäre bei der Verwendung der Zeiten sorgfältiger oder präziser als das Deutsche. Wie oben gezeigt wurde, ist diese Annahme falsch. Die Zeiten sind in den beiden Sprachen unterschiedlich definiert.
Einzig das Perfekt in nichtliterarischen Texten läßt sich mit dem present perfect vergleichen.
Im Englischen kann jedes Verb das present perfect bilden:
Bei perfektiven Verben wurde das Ergebnis der Handlung in der Vergangenheit erreicht, und das present perfect berichtet darüber, daß dieses Ergebnis in der Gegenwart oder grundsätzlich gilt:
- I have finished my homework. Now, I am going to eat a sandwich.
Dieser Gebrauch entspricht dem deutschen Perfekt in nichtliterarischen Texten. Darüber hinaus können im Englischen auch imperfektive Verben ein present perfect bilden:
- I have always liked Jennifer.
- I have lived in London for ten years.
Imperfektive Verben münden in kein Ergebnis. Da das present perfect aber grundsätzlich nur von der Nichtvergangenheit spricht, bedeutet es bei diesen Verben, daß die Handlung zum Zeitpunkt des Sprechens noch andauert.
Dies kann das Perfekt des Deutschen in keiner der drei Sprechgattungen ausdrücken. Hier verwendet das Deutsche das Präsens:
- Ich mag Jennifer seit jeher.
- Ich lebe seit zehn Jahren in London.
Das oben gezeigte Pseudoperfekt ergibt sich nur aus der Konstruktion zweier Sätze mit verschiedenen Verben:
- Er spricht fließend englisch. Kein Wunder, denn er lebt seit zehn Jahren in London.
Oder als Dialog:
- A:
Woher kannst du so gut Englisch?
- B:
Ich habe zehn Jahre in London gelebt.
Die Annahme, das Perfekt in diesem Beispiel wäre ein echtes deutsches Schriftperfekt, ist ein Anglizismus. Es ist ein mündliches Perfekt.
Der Grund für diesen Unterschied ist darin zu suchen, daß das Englische das Perfektivpräfix ge-
schon im frühen Mittelalter abgestoßen hat. Das System mit zusammengesetzten Zeiten hat sich zu einer Zeit etabliert, als das Deutsche noch mit dem Präfix ge-
operiert hat.
Entstehung des Perfekts
Wie ist das Perfekt entstanden? Warum bildet man es einmal mit dem Hilfsverb haben
, ein andermal mit sein
?
Vom Urgermanischen zum Deutschen
Das UrgermanischeTutorial: Wer sind die Germanen? Wie ist das Germanische und das Deutsche entstanden? kannte kein Perfekt. Das Perfekt der germanischen Sprachen ist also nicht mit dem Perfekt der anderen Zweige der indogermanischen Sprachgruppe verwandt, zum Beispiel dem nichtzusammengesetzten Perfekt im Lateinischen, im Griechischen oder im Altindischen. Tatsächlich ist das indogermanische Perfekt der Vorläufer des germanischen Präteritums. Zudem hat sich das Germanische in seine Einzelsprachen aufgeteilt, bevor das Perfekt entstand. Das zeigt das Gotische als die am frühesten belegte Sprache des Germanischen (4. Jahrhundert nach Christus), wo es kein Perfekt gibt.
Das urgermanische Tempussystem bestand aus dem Präteritum für Vergangenes und dem Präsens als Gegenmenge, die Gegenwärtiges, Faktisches, Immergültiges und Zeitunabhängiges (Gnomisches) sowie Zukünftiges umfaßte.
Entwicklung des Perfekts
Das zusammengesetzte Perfekt entstand aus einer Konstruktion, die zunächst einen ganz anderen Sinn hatte. Die erste Stufe bestand aus Sätzen wie diesen:
- Ich habe einen großen Baum.
- Ich habe einen gepflanzten Baum.
Haben
ist hier kein Hilfsverb, sondern ein Vollverb, das besitzen
bedeutet. Deshalb hat man auch lange das Verbum eigen
verwendet. Das Objekt des Besitzens ist der Baum. Er hat ein Adjektivattribut, aber kein normales Adjektiv, sondern ein Partizip.
Partizipien sind Adjektive und keine Verbalformen, wie oft in germanistischen Grammatiken behauptet. Das ist sowohl syntaktisch als auch sprachgeschichtlich falsch.
In der zweiten Stufe wurde schlicht die Reihenfolge der Wörter vertauscht, ohne daß sich die Bedeutung des Satzes zunächst verändert hätte:
- Ich habe einen Baum gepflanzten.
Das Attribut steht jetzt jedoch an letzter Stelle im Satz. Diese Stelle ist prominent. In anderen Sätzen steht hier das Prädikat:
- Der Baum ist groß.
So wurde das Partizip umgedeutet. Aus einem Attribut wurde ein Prädikat. Von hier an wird aus dem Vollverb haben/eigen
ein Hilfsverb. Der Baum ist nun nicht mehr Objekt zu haben, sondern Objekt zu dem Verb, das im Partizip steckt: einen Baum pflanzen
.
Diese Stufe erreicht das Deutsche in althochdeutscher Zeit. Wegen der Entstehung konnten zunächst nur transitive Verben verwendet werden, denn ohne Objekt ist die Konstruktion nicht möglich, wie dieses Beispiel von Otfried von WeißenburgExterner Link: Otfried bei Wikipedia zeigt: Otfried lebte im 9. Jahrhundert und ist der älteste Dichter deutscher Sprache, der uns mit Namen bekannt ist.
Otfrid | |
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Original | Übersetzung |
thaz eigut ir gihorit | das habt ihr gehört |
Das Niederdeutsche im Norden begann früher als das Hochdeutsche im Süden, auch intransitive Verben zuzulassen. So liest man im HeliandExterner Link: Der Heliand bei Wikipedia: Heliand ist der Name eines der großen Epen in deutscher Sprache. Diese Sprache ist Altsächsisch (vergleiche das heutige Bundesland Niedersachsen), der größte Dialekt des Altniederdeutschen. Der Heliand erzählt vom Leben Jesu und gehört sprachlich bis heute zum Vorzüglichsten, was die deutsche Sprache zu bieten hat.
Altsächsisches Beispiel aus dem Heliand | |
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Original | Übersetzung |
sie habde ira drohtine wel gethionod | sie hatten ihrem Herrn wohl gedient |
Dienen
ist ein intransitives Verb. Es hat kein Objekt (Akkusativ), sondern ein Adverbiale im Dativ drohtine
. Das Hochdeutsche erreicht diese Stufe erst im späteren Althochdeutschen. Dort schreibt NotkerExterner Link: Notker bei Wikipedia:
Notker ist ein bekannter althochdeutscher Dichter. Der Benediktinermönch lebte um die Jahrtausendwende herum(950 bis 1022).
Notker | |
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Original | Übersetzung |
habe ih keweinōt | ihr habt geweint |
wir eigen gesundōt | wir sind gesund geworden |
Das Hochdeutsche, das später die Sprache aller Deutschen werden sollte, zögerte jedoch lange, perfektive intransitive Verben zuzulassen und verwendete für sie eine andere Konstruktion: Statt ich habe gefallen
verwendete man er ist ein Gefallener
, woraus er ist gefallen
wurde.
Hochdeutsch sind die süd- und mitteldeutschen Dialekte, die die zweite Lautverschiebung durchgeführt haben. Das Hochdeutsche trifft im Norden an der Benrather Linie auf das Niederdeutsche. Dazu zählen Dialekte, die die zweite Lautverschiebung nicht durchgeführt haben, zum Beispiel Niedersächsisch und Fälisch.
Dieses Zögern ist der Grund, warum im heutigen Perfekt zwei ganz verschiedene Konstruktionen stecken und einige Verben das Hilfsverb sein
verwenden.
In anderen germanischen Sprachen wurde nicht gezögert. Deshalb wird das Perfekt im Englischen, Schwedischen, Isländischen usw. immer mit haben
gebildet:
- Englisch: I have come.
- Schwedisch: Jag har kommit.
- Isländisch: Ég hef komið.
Perfekt mit haben
oder sein
Im Deutschen gilt ein scharfes System, das Ausländern nicht so leicht zugänglich ist. Man sagt:
- Nach all dem Bier habe ich ziemlich gewankt.
- Ich bin nach Hause gewankt.
Oder:
- Ich habe heute morgen geschwommen/gesegelt.
- Ich bin zum anderen Ufer des Sees geschwommen.
- Ich bin zur Insel gesegelt.
Oder:
- Peter hat für Johanna geschwärmt.
- Die Polizisten sind ausgeschwärmt.
Nur wenn das Verb intransitive, perfektive Bedeutung hat, wird sein
als Hilfsverb verwendet. Dies betrifft vor allem Verben der Bewegung (verba movendi).
Wanken
und dergleichen bilden also das Perfekt mit haben
, wenn der Vorgang imperfektiv ist: Man wankt hin und her, ohne daß am Ende ein Resultat erreicht wird. Der Vorgang ist in allen Phasen derselbe. Wanken
ist perfektiv, wenn es die Bewegung zu einem Ziel ist. Schwimmen ist imperfektiv, wenn man herumschwimmt, aber perfektiv, wenn man zu einem Ziel schwimmt. Das Schwärmen für einen anderen endet, wie es begonnen hat (jedenfalls grammatikalisch). Beim Ausschwärmen ist man zu Beginn an einem Punkt versammelt und am Ende in der Gegend verteilt.
Aber auch andere Verben bilden das Perfekt mit sein
, wenn die perfektiv sind:
- Imperfektiv: Die Blume hat geblüht.
- Perfektiv: Petra ist richtig aufgeblüht.
Diese Vorgänge sind perfektiv, wenn man sie als Fortbewegung benutzt, um ein Ziel zu erreichen. Dann bilden sie das Perfekt mit sein
.
Zudem muß der Vorgang aber auch intransitiv sein, was die Menge der Verben erheblich einschränkt. Denn bei transitiven Verben bildet das Hilfsverb sein
mit dem Partizip das Passiv. Nicht nur das, die Partizipien transitiver Verben haben auch als Attribut passivische Bedeutung:
- Die umschwärmte Frau, der gefällte Baum, das erbaute Haus.
Verben wie erblicken, erkennen, vergessen, vernichten, einschläfern
sind perfektiv. Da sie aber transitiv sind, bilden sie das Perfekt mit haben
. Mit sein
bilden sie das Passiv.
Verben wie gehen, reisen, sterben
sind auch perfektiv. Da sie intransitiv sind, bilden sie das Perfekt mit sein
. Ein Passiv können sie nicht bilden. Jedenfalls kein Zustandspassiv mit sein
. Ein Vorgangspassiv mit werden
können sie mit einem Augenzwinkern bilden:
- Der Ministerpräsident wurde gegangen.
Verben mit Perfekt mit sein
Einheitlich bilden alle Verben der Fortbewegung und räumlichen Veränderung das Perfekt mit dem Hilfsverb sein
:
- abbiegen: Das Auto ist rechts abgebogen.
- gehen: Er ist in die Schule gegangen.
- laufen: Er ist als erster ins Ziel gelaufen.
- rennen: Sie ist weggerannt.
- rinnen: Das Wasser ist über das Ufer geronnen.
- schreiten: Das Brautpaar ist zum Altar geschritten.
- springen: Sie ist über den Zaun gesprungen. Aber auch: Die Schüssel ist gesprungen.
- steigen: Er ist auf die Leiter gestiegen. Die Temperaturen sind deutlich gestiegen.
- weichen: Der Feind ist gewichen.
- gleiten: Er ist übers Eis geglitten.
- fließen: Der Fluß ist ins Tal geflossen.
Zu dieser Gruppe gehört auch reisen
, obwohl es imperfektiv ist: Er ist durch ganz Europa gereist.
Einige Verben können eine Bewegung ausdrücken oder auch nicht. In jenem Fall bilden sie das Perfekt mit sein
:
- schießen: Schorsch hat auf einen Saupreußen geschossen. Der Hackl Schorsch ist auf dem Schlitten über die Zeillinie geschossen. Die Vermutungen sind ins Kraut geschossen. Die Rakete ist zum Himmel geschossen.
- schleichen: Er hat sich von hinten angeschlichen. Er ist durch den Garten geschlichen.
- schwimmen: Er hat am Morgen eine Stunde lang geschwommen. Er ist hinüber zum anderen Ufer geschwommen.
- segeln: Er hat in seiner Jugend gesegelt. Er ist zur Insel gesegelt.
- streben: Er hat in der Schule eifrig gestrebt. Er ist zum Gipfel gestrebt.
- stoßen: Ich habe ihn in den Abgrund gestoßen. Ich bin zu den anderen gestoßen.
- treten: Ich habe ihn in den Hintern getreten. Ich bin in eine Pfütze getreten.
- wanken: Nach dem dritten Bier hat er gewankt. Ich bin betrunken nach Hause gewankt.
- schwärmen: Ute hat für die Beatles geschwärmt. Die Hummeln sind ausgeschwärmt.
Echte intransitive Perfektiva bilden das Perfekt mit dem Hilfsverb sein
:
- sprießen: Die Blumen sind gesprossen.
- werden: Ich bin krank geworden.
- kommen: Nun ist er ins Haus gekommen.
- schwinden: Die Gewinne sind geschwunden.
- sterben: Er ist gestorben.
- wachsen und erwachsen: Der Baum ist in diesem Sommer stark gewachsen. Er ist jetzt erwachsen. Er ist seinem Umfeld entwachsen.
Ebenso machen es Verben, die mit einem Präfix perfektiviert sind. Sie müssen intransitiv sein.
- ersaufen: Ralf ist im Rhein ersoffen. Aber: Davor hatte er in jedem Lokal der Düsseldorfer Altstadt ein Alt gesoffen.
- einschlafen, erwachen und aufwachen: Ich bin erst nach Mitternacht eingeschlafen, aber dann habe ich bis zum Morgen geschlafen. Ich bin beim ersten Sonnenstrahl erwacht/
aufgewacht. Der Soldat hat die ganze Nacht gewacht. - gedeihen: Die Sache ist weit gediehen.
- gelingen und mißlingen: Der Plan ist gelungen/
mißlungen. - gerinnen: Die Milch ist geronnen.
- verderben: Die Pornografie hat uns verdorben. Die Milch ist verdorben.
- verlieren: Wir sind verloren. Ich habe meinen Schlüssel verloren.
- erlöschen und verlöschen: Das Licht ist erloschen. Unsere Hoffnung ist verloschen. Aber: Ich habe das Licht gelöscht.
- erbleichen: Er ist bei ihrem Anblick erblichen (siehe auch unten).
Zu dieser Gruppe gehört auch das Verbum bleiben
. Das Perfekt ist geblieben
verwundert einen, da Bleiben ja eine ausgesprochen nichtperfektive Handlung ist. Historisch ist bleiben jedoch eine Verkürzung aus be-leib-en
, wobei der Wortstamm kleben
bedeutet (daher kleben bleiben
).
Einige Verben treten sowohl als verba movendi als auch als transitive oder intransitive Verben ohne räumliche Veränderung auf. Hier bilden sie das Perfekt mit haben
, dort mit sein
:
- ziehen: Die Lok hat den Wagon aufs Abstellgleis gezogen. Er hat an der Pfeife gezogen. Johannes ist nach Frankfurt gezogen.
- fliegen und auffliegen: Er ist nach Berlin geflogen. Er hat mich in den Dschungel geflogen. Die Krähen sind zum Himmel aufgeflogen. Die Verschwörung ist aufgeflogen.
- fahren: Er ist im Zug nach Köln gefahren. Jürgen hat einen Mercedes gefahren.
- gären: Der Wein hat lange gegoren. Er hat Trauben zu Wein gegoren.
- dringen: Er hat auf schärfere Maßnahmen gedrungen. Der Einbrecher ist in den Garten eingedrungen. Sein Körper ist gedrungen.
- treiben: Die Baumstämme sind auf dem Fluß hinabgetrieben. Seine Frau hat ihn ins Verderben getrieben. Petra und Knut haben es die ganze Nacht getrieben.
Nicht dazu gehört ist geboren
(Passiv). Gebären
ist ein Transitivum: Sie hat ein Kind geboren. Das Kind wurde am frühen Morgen geboren. Er ist in Hamburg geboren.
In der Bedeutung sich gebärden, sich betragen
, zum Beispiel: er gebärt sich schlecht,
verwendet man heute eher die Ableitung sich gebärden: er hat sich schlecht gebärdet.
Das Perfekt unterscheidet stark gebeugte intransitive Perfektiva von schwachen Transitiva und starken Intransitiva. Hier ist der Infinitiv gleich, das Partizip des Intransitivums jedoch stark, das des Transitivums schwach:
- schrecken/erschrecken: Er ist durch den Knall erschrocken. Ich habe ihn ganz schön erschreckt.
- brechen: Das Eis ist gebrochen. Das Kind hat die ganze Nacht gebrochen.
- schmelzen: Das Eis ist geschmolzen. Er hat das Eis im Topf geschmelzt.
- bleichen: Die Wäsche ist geblichen. Sie hat die Wäsche gebleicht.
Er ist oder er hat gelegen?
Für Muttersprachler ist es kein Problem, das richtige Hilfsverb zu finden. Nur bei drei Verben versagt das Sprachgefühl: Heißt es richtig er ist gelegen
oder er hat gelegen
, er ist gesessen
oder er hat gesessen
, er ist gestanden
oder er hat gestanden
?
Beide Bildungen sind richtig. Und beide sind mundartlich.
In der Zeit, als das Hochdeutsche allein von den Deutschen im Süden, den Schweizern und Österreichern gesprochen wurde, konnten die Verben sitzen, stehen, liegen
perfektiv und imperfektiv gebraucht werden. Mit der Vorsilbe ge-
waren sie perfektiv, ohne dagegen imperfektiv:
Hochdeutsch im Süden (weiter unterteilt in Mitteldeutsch, das vor allem Fränkisch und Obersächsisch ist, und Oberdeutsch, bestehend aus dem Bairischen und dem Alemannischen), Niederdeutsch im Norden. So ist es bis heute in der Mundart. In gehobener gesprochener Sprache und im Schriftdeutschen ist das Hochdeutsche des Südens aber mittlerweile die Standardsprache aller Deutschen.
- Ich gesaß mich auf einen Hügel.
- Ich saß auf einem Hügel.
Heute sind sie stets imperfektiv. Die perfektive Bedeutung wird durch neue Verben ausgedrückt, die es damals noch nicht gab: ich setze mich, ich lege mich, ich stelle mich
.
Diese Verben sind reflexiv, also transitiv. Damit bilden sie systematisch das Perfekt mit haben
. Systematisch ja, aber nicht historisch. Zu Beginn der Neuzeit mußten sich die Kernhochdeutschen entscheiden, ob sie diese Verben als grundsätzlich perfektiv oder imperfektiv deuteten. Sie entschieden sich für perfektiv.
Als später auch die Menschen in Norddeutschland das Hochdeutsche übernahmen, haben sie diese Entscheidung nicht mehr verstanden, da die zweigeteilte Konjugation bereits abgeschafft war. Sie bildeten das Perfekt daher systematisch mit haben
.
So wird das Perfekt dieser Verben auch heute noch im Süden mit sein
, im Norden mit haben
gebildet. Keine dieser Bildungen ist richtiger oder besser als die andere. Es besteht auch keine Not, eine Form zum Standard für alle Deutschsprecher zu machen.
Dies versuchen gerade Sprachratgeberbücher. Da die Verfasser allesamt aus dem Norden stammen, wollen sie ihren Lesern natürlich die norddeutsche Variante als Standard verkaufen. Die Verfasser haben eine weitere Gemeinsamkeit: Keiner von ihnen besitzt tiefere Einsichten in Grammatik und Sprachgeschichte.
Sprachwissenschaftlich die einzige gültige Regel ist jedoch: Wer aus dem Süden kommt, bildet das Perfekt mit sein
, wer aus dem Norden kommt, mit haben
. Aber auch eine persönliche Präferenz ist in Ordnung: Wer aus dem Süden kommt, es aber lieber systematisch mag, sagt hat gesessen
. Wer aus Hamburg stammt und gerne Lederhosen trägt, sagt bin gelegen
.
Weg zum heutigen Perfekt
Wie alle Menschen aus den katholischen Gefilden Europas haben die süddeutschen Sprecher das Perfekt zum Vergangenheitstempus der gesprochenen Sprache gemacht. Vorbild dürfte das Lateinische gewesen sein. Zudem bietet das Perfekt gewisse Vorteile: Die Vergangenheit ist zusammengesetzt, während die Nichtvergangenheit (Präsens) nicht zusammengesetzt ist. Das bietet einen guten Kontrast. Zudem ist das Perfekt länger als Präteritum und verschafft dem Sprecher Zeit zu überlegen, was er als nächstes sagen wird.
Die Menschen in Norddeutschland haben jedoch zunächst das germanische System beibehalten. Bei ihnen blieb das Präteritum die Form der Vergangenheit. So ist es auch im Englischen (simple past) und in den skandinavischen Sprachen. Erst in den letzten Jahrzehnten kollidierten die beiden Systeme zum erstenmal durch die Massenkommunikation. Das führte dazu, daß sich das System des Südens heute als Standard durchgesetzt hat.
Norddeutsche sollten sich davon nicht beirren lassen und das niederdeutsche Tempussystem pflegen.
Präteritum oder Imperfekt?
Warum gibt es für die einfache Vergangenheit zwei Namen: Imperfekt und Präteritum?
Das Lateinische erzählt im Perfekt. Wenn erst das eine getan wird, danach das nächste, dann steht im Lateinischen das Perfekt. Es schildert die Vollendung von Handlungen. Dagegen verwendet man das Imperfekt für unvollendete Handlungen:
- Marcus librum legebat, tum Claudia intravit.
- Marcus war gerade dabei, ein Buch zu lesen, da kam Claudia herein.
Das Imperfekt zeigt also Unvollendetes, Andauerndes oder auch den ständigen Versuch, etwas zu vollbringen imperfectum dē cōnātu.
So bilden die Bezeichnungen Perfekt
und Imperfekt
das Lateinische Tempussystem korrekt ab.
Das deutsche Präteritum ist jedoch kein Imperfekt. Es ist ja das Tempus für Vergangenes. Was vergangen ist, ist abgeschlossen. Deshalb hat man für das Germanische die Bezeichnung Präteritum (wörtlich: Vergangenes) geschaffen.