Next und nearest, nächst und nähest
Das Englische hat die beiden Varianten ›next‹ und ›nearest‹ hervorgebracht, bei denen sich ein Bedeutungsunterschied erkennen läßt. Gilt das auch für die deutschen Formen ›nächst‹ und ›nähest‹?
In unserer Facebookgruppe fragt Alen:
Wie steht ihr zur Steigerung von «nahe» mit «am nähesten» (statt «am nächsten»)? Die «falsche» Form verdeutlicht meines Erachtens die Bedeutung, die unterschiedlich ist (nearest vs. next).
Nearest
und next
im Englischen
Ursprung der Doppelformen
Im Englischen war near ursprünglich der Komparativ zu nigh
:
Die Steigerung lautet im Altenglischen neah → nearra → nehsta
und antiquiert neuenglisch nigh → near → next
.
Next
wurde im Frühneuenglischen als Grundform (Positiv) reinterpretiert und hat das alte nigh
mit neuen Steigerungsformen ersetzt.
In der Forschung wurde vermutet, es könne sich um eine Analogie zur Wandlung von far
handeln, bei dem die Steigerungsformen im Neuenglischen aus einem anderen Wortstamm ersetzt wurden:
Man findet den Wandel von near
jedoch auch ohne solche Analogie in anderen germanischen Sprachen wie dem Dänischen.
Die Umdeutung von Komparativen zu Positiven bedarf zum Glück gerade bei Adjektiven mit räumlicher Bedeutung gar keines besonderen Auslösers:
Die wahre Funktion der Komparation als lokativische Determinierung haben wir bereits in einem anderen Tutorial erklärt.
Bedeutungsunterschied zwischen nearest
und next
Alens Frage zielt nun darauf ab, dass zwischen dem alten Superlativ next
und dem neuen nearest
ein Bedeutungsunterschied existiert, und analog dazu auch im Deutschen zwischen nächst
und nähest
.
Im Englischen kann nearest
nur räumlich verwendet werden. Es heißt next weekend
, aber nicht
. Mit nearest weekendnext station
meint man die Station, die der Zug in seinem Plan als nächstes erreichen wird. Sucht man dagegen nach dem nächstgelegenen Bahnhof, fragt man nach der nearest station
.
Deutsch nächst
und nähest
Auch das Deutsche hat Parallelformen hervorgebracht. Nähest
ist nicht falsch und wird von Grimm (unter III.) kontinuierlich als Variante erwähnt.
Die Doppelformen entspringen allerdings nicht wie im Englischen einer Umdeutung, sondern regulärem Lautwandel im Mittelhochdeutschen: Im Silbenauslaut tritt /ch/ für /h/ ein, das damals niemals Dehnungszeichen war.
- ho|her → hoch
- na|he → nach
- na|hest → nächst
Wenn ein Vokal nachfolgt, tritt /ch/ nicht ein. Der Vokal hing jedenfalls im Mittelalter noch von der Mundart ab. So heißt das Vieh im Bairischen Viech.
Darum läßt sich weder bei Grimms Beispielen noch in der Gegenwartssprache ein Bedeutungsunterschied nachweisen. Man kann zwar nähest
benutzen, um das Wort zu betonen, trotzdem kann nächst/nahest
überall für nähest
eintreten.
Zudem wirkt die emphatische Form oft unangebracht:
Dabei ist sie nicht einmal auf ausdrücklich Räumliches beschränkt: