Olympiade: Olympische Spiele oder Zeitraum von vier Jahren?
Unter einer Olympiade verstehen wir die Olympischen Spiele. Bis auf eine Schar von Zeitgenossen, die uns damit in den Ohren liegt, eine Olympiade wäre gar nicht die Spiele selbst, sondern die vierjährige Zeitspanne zwischen den Spielen.
Olympiade: Spiele oder Zeitspanne?
In einem lautet daher über die Frage, wie schnell Usain Bolt theoretisch laufen könnte, verwendet sein Verfasser Thilo Kuessner die Formulierung Londoner Olympiade
und wird dafür von einem Leser kritisiert:
Auf den MedaillenExterner Link zur Webseite der Olympischen Spiele in London: Die Medaillen der Olypischen Spiele in London steht:
Offizielle Olympische Zeitrechnung
Tatsächlich findet man in der Olympischen Charta eine Definition des Begiffs Olympiad(e):
1. An Olympiad is a period of four consecutive calendar years, beginning on the first of January of the first year and ending on the thirty-
first of December of the forth year. 2. The Olympiads are numbered consecutively from the first Games of the Olympiad celebrated in Athens in 1896. The XXIX Olympiad will begin on 1 January 2008.
International Olympic Commitee: Olympic Charter. 6. Olympic Games. Lausanne 2007.Externer Link zur Quelle (PDF)
Die erste Olympiade begann also am ersten Januar 1896, die dreißigste am ersten Januar 2012, und sie endet am 31.12.2015. Die Inschrift auf den Medaillen ist richtig, weil es die Spiele der 30. Olympiade sind.
Nun zählt aber heutzutage jeder Mensch in Jahren und Jahrzehnten und nicht in Vierjahreszeiträumen, die er Olympiade nennt. Unter Olympiade versteht jedermann die Olympischen Spiele.
Olympiade im allgemeinen Sprachgebrauch
Der Begriff ist eine geschützte Marke, und das IOC mag außer kultischen auch sportadministrative Gründe für die altertümliche Definition in der Charta haben — wenn Olympiade
allerdings in einem normalen deutschen oder englischen Satz verwendet wird, dann bedeutet es lexikalisch das, was die Sprecher und Hörer dieser Sätze darunter verstehen.
Selbstverständlich entscheidet nicht das IOC, was Olympiade
im Englischen oder Deutschen bedeutet, ebenso wie das Auswärtige Amt nicht darüber entscheidet, wie man Burma oder Weißrußland im Deutschen nennt. Das wäre eine Verkehrung der Souveränität.
Olympiade im alten Griechenland
Die eben genannte Begründung ist zwar wichtig und maßgeblich, aber der Spaß geht jetzt erst richtig los!
Wir können uns außerdem die Frage stellen, ob der Begriff der Olympiade im Englischen und Deutschen unmittelbar aus dem Griechischen entlehnt ist. Einige Wörterbücher verzeichnen the Olympiad
als seit dem Beginn der Neuzeit in Gebrauch, führen aber keine Belege an. Was für Belege sollen das auch sein? Humanistische bestenfalls, aber keine allgemeinsprachlichen. Im Deutschen kommt das Wort vor 1896 überhaupt nicht vor.
So dürfen wir annehmen, daß Pierre de Coubertin den Begriff zusammen mit der gesamten Idee aus dem Griechischen geschöpft hat.
Griechisch ἡ Ὀλυμπιάς
Die griechische Vokabel ist ein Dentalstamm. Der Stamm endet auf einen dentalen Verschlußlaut, der allerdings in der Grundform schwindet und nur in den anderen Fällen zu sehen ist: Der Nominativ Singular lautet daher ἡ Ὀλυμπιάς (he Olympiás)
, da /d/ hinter Vokal und unmittelbar vor auslautendem /s/ schwindet: vorgriechisch *newóta∙t∙s
wird griechisch neóta∙s
Neuigkeit
. Der Genitiv lautet τῇς Ὀλυμπιά∙δ∙ος (tes Olympiá∙d∙os)
. Hier steht Delta zwischen zwei Vokalen und schwindet nicht. Unsere Olympia-d-e ist vom vollen Stamm abgeleitet.
Was bedeutete dieses Wort im alten Griechenland? Hier erwartet uns eine Überraschung. Bei Herodot heißt es zum Beispiel:
τῇ Ὀλυμπάδι νικᾶν
tē Olympiádi nikãn
Herodot (484—425 vor Christus): Historien 6,103Externer Link zum Text bei Perseus
bei der Olympiade siegen
Gemeint sind also die Olympischen Spiele und nicht das Quadriennium. Jene Bedeutung findet man an mehreren Stellen bei Herodot, während er die zeitliche gar nicht kennt.
Wir streben weiter zur erhabensten Quelle, und das ist natürlich der Dichter Pindar:
τὸ δὲ κλέος τηλόθεν δέδορκε τᾶν Ὀλυμπιάδων
tò dè klèos tēlothen dédorke tān Olympiádōn
Der Ruhm der Olympischen Spiele scheint von fern.Pindar (522—446 vor Christus): Oden: Olympia 1.94
Die olympischen Lorbeeren war bei ihm Ὀλυμπιάδων ἐλαῖαι (Olympiádōn elaĩnai). Auch der Olympionike (Ὀλυμπιόνῑκος) paßt in dieses Schema.
Kunstdefinition von Timaios von Tauromenion
Natürlich muß auch die zeitliche Bedeutung der Charta vom IOC irgendwo herrühren. Diese Verwendung des Begriffs der Olympiade finden wir beim Geschichtsschreiber Timaios von Tauromenion (pros tais hekaton olympiada), der sie zugleich auch erfunden und als einziger verwendet hat.
Pindar (522 bis 446 vor Christus), der bereits die Fußschnelle der Läufer bei Olympia besungen hat, und Herodot (490 bis 424) lebten zwei Jahrhunderte vor Timaios (345 bis 250), und sie sind mit anderen in der Überzahl. Wir dürfen daraus schließen, daß historisch die Zeitrechnung von den Spielen abgeleitet ist und nicht umgekehrt. Sie war bloß eine ungeläufige und feierliche Kunstzeitrechnung.
Olympia
Sprachlich ist Olympiás genau wie Olympías (Olympionike) eine Ableitung vom Ortnamen Olympia, bezeichnet also etwas, was sich wie englisch Olympic
auf Olympia bezieht. Es kann also im Grunde frei gebraucht werden und sich auf alles Olympische beziehen, als dritte Bedeutung zum Beispiel auf den Sieg beim Wettlauf in Olympia.
Das englische Adjektiv Olympic ist allerdings vom Adjektiv olympikós
oder lateinisch olympicus
abgeleitet: ὁ Ὀλυμπικός ἀγών (ho olympikós agón)
, der olympische Wettkampf.
Wir schließen mit Sokrates: Ein unüberprüftes Leben ist wertlos.