Woher kommt der Gründonnerstag?
wortkunde
Kirchenleute verbreiten die falsche Etymologie, der Gründonnerstag rühre gar nicht von der Farbe Grün her, sondern von dem Verbum greinen. Und Journalisten helfen ihnen dabei.
Dauer: 31 Minuten.
Woher stammt der Begriff Gründonnertag
?
Woher stammt der Begriff Gründonnerstag
? Traditionell wird er mit der Farbe Grün dies viridium
verbunden. Seit einiger Zeit überschwemmt eine neue Deutung das Internet und die Presse: Die Silbe Grün∙
habe nichts mit der Farbe zu tun. Dahinter stecke ein Verbum greinen
(oder ähnlich), das weinen
bedeutet. Die alte Deutung wird als Volksetymologie beurteilt.
Zusammenfassung
Der erst im Spätmittelalter aufkommende Begriff grüendonerstac
kann lautgesetzlich nicht auf eine Vorstufe von greinen
aus germanisch grīn∙
zurückgehen. Zudem ergibt sich das Problem, daß greinen
lexikalisch keinen Bezug zur Trauer hat.
Dagegen läßt sich Gründonnerstag
lautgesetzlich in direkter Linie von germanisch grōa∙
wachsen
(vgl. englisch grow
und isländisch grōa
) wie in althochdeutsch gruoan
herleiten. Von diesem Verbum ist auch das Farbwort grün
in der Bedeutung wachsend, sprießend
abgeleitet.
Der mittelhochdeutsche Diphthong üe
wie in grüendonerstac
kann sich nur als Umlaut aus uo
(aus ō
) ergeben. Für einen etymologischen Zusammenhang mit greinen
hätte es also einer nachalthochdeutschen Form gruonen
bedurft. Genau diese Ablautstufe (abgetönte Dehnstufe) ist aber nicht belegt und auch nicht wahrscheinlich. Dieser Befund steht im Einklang mit dem Umstand, daß Gründonnerstag
, das seit der Mitte des 14. Jahrhunderts belegt ist, von Anfang an auch als grüner Donnerstag
bezeichnet wird.
Andersartige Argumente wie logische, historische oder philologische haben bei der etymologischen Prüfung gegenüber den Lautgesetzen keinen Bestand.
Der Gründonnerstag in der Presse
Der Bayerische Rundfunk spricht davon, Gründonnerstag
komme wahrscheinlich von einem Verbum gronan
:
Gründonnerstag: Vom "blauen Montag" bis zum "schwarzen Freitag" — im Sprachgebrauch färbt sich die Woche bunt. Der Tag vor Karfreitag hat mit der Farbe Grün jedoch — auch wenn es nicht schneit — nur wenig zu tun: Wahrscheinlich kommt der Name vom mittelhochdeutschen "gronan", was so viel heißt wie "weinen".
Bayerischer Rundfunk
Ein Verbum gronan
ist im Mittelhochdeutschen in dieser Lautung unmöglich und natürlich auch nicht belegt. Auch wenn es existierte, wäre die Umlautform grüen∙
ebenfalls unmöglich.
Anders die Augsburger Allgemeine. In einem Serviceartikel läßt sie keinen Zweifel. Aus Hörensagen wird Gewißheit:
Der Gründonnerstag […] hat seinen Namen von „greinen“ (weinen). An das Missverständnis vom „Grün“-DonnerstagQuerverweis: Über den falschen Gebrauch von Gänsefüßchen in der Wortbildung erinnert der Brauch, grünes Gemüse oder die „Greitlsuppe“ zu essen.
Augsburger Allgemeine
Herausstechend übel ist die Karlsruher Newsseite Ka-News.de:
Der Name des "Gründonnerstag" leitet sich von dem Wort "greinen" oder "gronan" ab, was soviel wie "trauern" oder "weinen" bedeutet. Dementsprechend wird in den katholischen Kirchen am Gründonnerstag das letzte Abendmahl Jesu beziehungsweise Eucharistie — ganz in weiß — gefeiert.
Ka-News
Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Weiß bedeutet als liturgische Farbe das Gegenteil von Trauer und Weinen. Es ist die Farbe der Hochfeste und wird auch bei Heiligenfeiern verwendet, sofern der Heilige kein Märtyrer ist (Blut!). Deshalb ist die liturgische Farbe des Karfreitags, wo wirklich getrauert wird um das vergossene Blut Jesu, rot.
Löblich dagegen der Reutlinger General-Anzeiger. Die Redakteure sind keine IndogermanistenVideo-Tutorial: Indogermanisch und nicht indoeuropäisch und geben das auch zu:
Erklärungen für das Wort Gründonnerstag: Herleitung über die Farbe Grün, etwa weil an diesem Tag vor allem grünes Gemüse verzehrt wurde. Ein anderer Ansatz geht über das Wort »greinen« für »weinen«.
Reutlinger General-Anzeiger
So muß gute Berichterstattung aussehen. Denn erstens ist keiner der Berichte imstande, eine wissenschaftliche Quelle für diese Etymologie zu nennen, zweitens findet sie sich nicht in anerkannten Wörterbüchern wie dem Etymologischen Wörterbuch von Kluge/Seebold oder Grimms Deutschen Wörterbuch. Ein Journalist muß also kenntlich machen, daß es sich hier nicht um die communis opinio der historischen Sprachwissenschaft handelt, sondern um reines Hörensagen.
Etymologische Prüfung
Wie kann man eigentlich herausfinden, ob zwei Wörter miteinander verwandt sind? Reicht es, wenn sich die beiden Wörter ähnlich sehen, oder muß auch eine vernünftige Verknüpfung der Bedeutung herauskommen?
Grün∙
und gronan/greinen/grunen
sehen sich tatsächlich ähnlich. Und auch der Karfreitag hat mit der Klage und Trauer zu tun. Die verdunkelte Vorsilbe Kar∙
geht auf ein althochdeutsches weibliches Substantiv chara
Trauer, Buße
zurück (charēn
oder charōn
klagen, trauern
, vergleiche englisch to care
).
Liegt es da nicht nahe, daß auch der Gründonnerstag zum Weinen war? Möglich. Aber am Karfreitag wurde Jesus gekreuzigt, am Donnerstag nicht. Im Gegenteil: Es ist der Tag des letzten Abendmahls, der dies cenae domini
.
So verführerisch es scheinen mag, nach dem gesunden Menschenverstand, äußerlicher Ähnlichkeit und historischer Plausibilität zu urteilen: All diese Faktoren zählen nicht in wissenschaftlicher Etymologie. Einzig und allein zählen die Lautgesetze.
Ein Beispiel: Das lateinische Wort deus
und das griechische theos
bedeuten beide Gott
. Diese Sprachen sind eng verwandt, und die Begriffe sehen sich überwältigend ähnlich: Sie beginnen mit einem Dentallaut d/th
, darauf folgt e
und am Ende die jeweils typische Endung für maskuline Substantive, im Lateinischen ∙us
und im Griechischen ∙os
.
Dennoch haben die beiden Wörter etymologisch nichts miteinander zu tun. Ihre Ähnlichkeit ist reiner Zufall. Denn lautgesetzlich findet sich überall dort, wo ein Wort im Griechischen mit th∙
(Theta) beginnt, im Lateinischen ein f∙
:
- Griechisch
thymos
: lateinischfumus
(Rauch, Zorn) - Griechisch
theos
(Gott) : lateinischfa∙nus
(göttlicher Bereich) - Griechisch
Zeus
: lateinischdeus
(Gott)
Umgekehrt hat das altindische Wort cakras
keine Ähnlichkeit mit dem griechischen kyklos
und dem englischen wheel
. Dennoch bedeuten alle Wörter Rad
und sind Abkömmlinge ein und desselben späturindogermanischen Wortes für Rad
.
Zur Überprüfung der Behauptung, Gründonnerstag stehe etymologisch mit gronan, greinen, grunen
in Verbindung, müssen wir also überprüfen, ob die Lautgesetze eine Brücke zwischen diesen Begriffen schlagen oder nicht.
grüendonerstac
Der Begriff Gründonnerstag ist erst seit dem Hochmittalter als grüendonerstac
belegt (um 1340). In jener Zeit ging das Mittelhochdeutsche langsam aber sicher ins Frühneuhochdeutsche über. Bereits damals sprach man vom grünen Donnerstag
. Von Anfang an wird der Gründonnerstag also mit der Farbe Grün in Verbindung gebracht. Das allein spricht schon dagegen, daß die traditionelle Deutung eine Volksetymologie ist.
gronan, greinen, grinnen
Das in der Presse kolportierte Verbum gronan
kann nicht Mittelhochdeutsch sein, weil bereits im späten Althochdeutschen alle Vokale in unbetonten Silben zu e
wurden. Auch im Althochdeutschen oder sonstwo fanden wir kein gronan
. Es handelt sich wohl um journalistische Flüsterpost. Das Althochdeutsche kennt die grun
, Verderben, Unglück, Elend, Jammer
, aber ein dazugehörendes Verbum grunan
oder grunēn
fanden wir nicht.
Das Mittelhochdeutsche kennt jedoch die Verben grinnen, grannen, grennen
. Zudem gibt es im heutigen Deutschen greinen
, das auf althochdeutsch grīnan
zurückgeht.
greinen und grüen
Wir müssen nun prüfen, ob eines der tatsächlich existierenden Verben mit dem Begriff grüen
in lautgesetzlichliche Übereinstimmung gebracht werden kann.
An den Konsonanten gr∙
und ∙n
ist nichts auszusetzen. Es geht um den Vokal der Wurzel.
grüen
Beginnen wir mit grün
, das Mittelhochdeutsch grüen
geschrieben wird. Was für ein Laut ist dieses üe
? Das können wir in zwei Stufen klären. Zunächst schauen wir uns an, was aus germanischen Wörtern im Deutschen wird, die ein langes ō
in der Wurzel haben. Unser Beispiel ist das Wort für Fuß
:
Entwicklung des langen o-Lautes im Deutschen: o wird uo wird ue | ||
---|---|---|
Sprachstufe | Laut | |
Germanisch | ō | fōtuz |
Althochdeutsch | ō →ua | fōz →fuaz |
Mittelhochdeutsch | uo | fuoz |
Neuhochdeutsch | u | Fuß |
Im Spätalthochdeutschen kommen die Deutschen auf folgende Idee: Wenn der Stammvokal ein langes ō
oder ua
ist und hinten in der Endung des Wortes ein helles i
folgt, dann hellt man auch das dunkle ō
ein bißchen auf. Dadurch werden sich die beiden Vokale etwas ähnlicher, was das Sprechen bequemer macht. Das ist die Geburtsstunde des Umlauts: Aus einem dunklen und langen uo-Laut wird im Mittelhochdeutschen üe
(ein langes ü
). Das verursachende i
(oder ähnliche Laute) wird bereits am Ende des Althochdeutschen wie alle anderen Vokale am Wortende zu einem unbetonten e
, so daß die Ursache des Umlauts nicht mehr zu erkennen ist. Ein solches i
hatte zum Beispiel der Plural von Fuß
:
Der Umlaut aus uo ist üe. | ||
---|---|---|
Sprachstufe | Laut | |
Mittelhochdeutsch | üe | füeze |
Neuhochdeutsch | ü | Füße |
Die Buchstaben üe
wie in grüendonerstac
und füeze
bezeichnet also den Umlaut aus uo
.
greinen, grinnen, grannen, grennen
Der Diphthong (Zwievokal) ei
im neuhochdeutschen Wort greinen
ist im Übergang vom Mittel- zum Neuhochdeutschen aus einem langen ī
entstanden (sogenannte Neuhochdeutsche Diphthongierung: hūs →Haus
):
>Das lange ī wird im Neuhochdeutschen zu ei diphthongiert. | |||
---|---|---|---|
Sprachstufe | Laut | ||
Germanisch | ī | grīna∙ | rīda∙ |
Althochdeutsch | ī | grīna∙n | rīda∙n |
Mittelhochdeutsch | ī | (grīne∙n) | rīde∙n |
Neuhochdeutsch | ei | greine∙n | reite∙n |
Urteil
Bei uo/üe → ü
und ī → ei
handelt es sich um zwei separate Entwicklungsstränge. Es gibt keine Möglichkeit, daß aus einem langen ī
im Mittelhochdeutschen ein üe
wird. Grüendonerstac
kann also nicht mit einem Verb grīnen
verwandt sein.
Auch bei den anderen Verbformen ist das nicht möglich. Das kurze i
in grinnen
, das kurze a
in grannen
und das kurze e
in grennen
können nicht zu üe
werden.
Auch das althochdeutsche grun
mit kurzem u
wird im Mittelhochdeutschen nicht zu üe
, sondern bleibt u
. Auch wenn es wegen eines i-Lautes in der Endung umgelautet worden sein sollte (wofür es keine Belege gibt), so wäre daraus ü
entstanden und nicht üe
.
Keine der Verbvarianten kann also im Mittelhochdeutschen mit üe
erscheinen. Das ginge nur, wenn es im Germanischen ein langes ō
enthalten hätte. Dies ist allerdings ausgeschlossen, weil dann die belegten Verbformen nicht so existieren dürften, wie sie aussehen.
gruoan
Es gibt allerdings ein Verbum, das lautgesetzlich schnurgerade zum Gründonnerstag führt: das althochdeutsche gruoan
(aus germanisch grō∙
). Es bedeutet wachsen, gedeihen
und ist heute im Deutschen ausgestorben, im Englischen jedoch noch gebräuchlich: to grow
.
Im Althochdeutschen wurde davon das Adjektiv gruoni
abgeleitet. Weil die Endung ein i
enthällt, erscheint das Wort im Mittelhochdeutschen mit Umlaut: grüene
. Daraus wurde unser Wort grün
.
Ein ähnliches Verb ist uns erhalten geblieben: althochdeutsch bluoan
→ mittelhochdeutsch blüen
→ neuhochdeutsch blühen
.
Lautgesetzlich läßt sich der Gründonnerstag also ausschließlich mit dem Verb gruoan
und dem Adjektiv gruoni
verbinden. Die Deutung grüner Donnerstag
kann also keine Volksetymologie sein. Eine Volksetymologie, also eine unfachmännische etymologische Deutung aus dem gesunden Menschenverstand
heraus, ist dagegen die Verknüpfung des Gründonnerstags mit greinen
. Zum Unfachmännischen gehört auch, daß man sich lauter Ad-hoc-Erklärungen einfallen läßt: Greinen, weil am Gründonnerstag Pachtzinsen fällig wurden usw. All das hat keine Bedeutung, wenn die Lautgesetze etwas andres sagen.
Greinen
Schließlich ergibt sich die Frage, was das Verbum greinen wirklich bedeutet: Der Internetmythos behauptet ja, Gründonnerstag wäre ein Trauertag und greinen
bedeute weinen
. Greinen
müßte also die Empfindung der Traurigkeit ausdrücken.
Grimms WörterbuchExterner Link: ›Greinen‹ in Grimms Deutschem Wörterbuch aufschlagen gibt für greinen die Bedeutung den mund verziehen zum knurren, winseln, heulen, lachen
an.
Auch im Althochdeutschen ist die Bedeutung von grīnan
mannigfaltig: bellen, heulen, knurren, kläffen, krächzen
.
Heute greinen vor allem Kleinkinder. Aber nicht aus Traurigkeit, sondern weil sie ihre Eltern seelisch zermürben wollen. Greinen ist eine Form des Quengelns. Dahinter steht nicht Trauer, sondern Müdigkeit.
Das Isländische kennt das Verbum grenja
. Es kann zum Beispiel so verwendet werden:
grenjandi rigning
fauchender Regen
krakkar grenja
Kinder greinen/quengeln
grenjandi hríð
heulender Schneesturm
naut grenja
Rindviecher brüllen
Das Englische kennt das Verbum to groan
. Es bedeutet ächzen, stöhnen, knarzen
.
All diese Belege zeigen, daß Trauer und Klage nicht der Kern der Wortsippe sein können. Daß sie einmal für weinen
steht, ist nur Zufall, denn das Verbum bezieht sich gar nicht auf eine Empfindung, sondern beschreibt ein rein akustisches Phänomen, eine Tätigkeit des Mundes.
So gehören hierher auch englisch to grin
, isländisch grínast
und deutsch grinsen
.