Woher kommt der Gründonnerstag?

wortkunde Kirchenleute verbreiten die falsche Etymologie, der Gründonnerstag rühre gar nicht von der Farbe Grün her, sondern von dem Verbum greinen. Und Journalisten helfen ihnen dabei.
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Video veröffentlicht am 04.04.2010 (34.11 MB).

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Woher stammt der Begriff Gründonnertag?

Woher stammt der Begriff Gründonnerstag? Traditionell wird er mit der Farbe Grün dies viridium verbunden. Seit einiger Zeit über­schwemmt eine neue Deu­tung das Inter­net und die Presse: Die Silbe Grün∙ habe nichts mit der Farbe zu tun. Dahin­ter stecke ein Verbum grei­nen (oder ähnlich), das weinen bedeutet. Die alte Deutung wird als Volks­etymo­logie be­ur­teilt.

Zusammenfassung

Der erst im Spätmittelalter aufkommende Begriff grüen­doners­tac kann laut­gesetz­lich nicht auf eine Vor­stufe von grei­nen aus ger­ma­nisch grīn∙ zurück­gehen. Zudem er­gibt sich das Pro­blem, daß grei­nen lexi­ka­lisch keinen Bezug zur Trauer hat.

Dagegen läßt sich Gründonnerstag lautgesetzlich in direkter Linie von germa­nisch grōa∙ wach­sen (vgl. eng­lisch grow und is­län­disch grōa) wie in alt­hoch­deutsch gruoan herleiten. Von diesem Verbum ist auch das Farbwort grün in der Be­deu­tung wach­send, sprie­ßend ab­gelei­tet.

Der mittelhochdeutsche Diphthong üe wie in grüen­doners­tac kann sich nur als Umlaut aus uo (aus ō) ergeben. Für einen ety­mo­lo­gi­schen Zu­sam­men­hang mit greinen hätte es also einer nach­alt­hoch­deut­schen Form gruo­nen be­durft. Ge­nau diese Ablaut­stufe (ab­ge­tönte Dehn­stufe) ist aber nicht belegt und auch nicht wahr­schein­lich. Die­ser Be­fund steht im Ein­klang mit dem Um­stand, daß Grün­donners­tag, das seit der Mitte des 14. Jahr­hun­derts be­legt ist, von An­fang an auch als grüner Donners­tag be­zeich­net wird.

Andersartige Argumente wie lo­gi­sche, histo­ri­sche oder philo­logi­sche haben bei der ety­mo­logi­schen Prü­fung ge­gen­über den Laut­gesetzen kei­nen Be­stand.

Der Gründonnerstag in der Presse

Der Bayerische Rundfunk spricht davon, Gründonnerstag komme wahr­scheinlich von einem Ver­bum gronan:

Gründonnerstag: Vom "blauen Montag" bis zum "schwarzen Freitag" — im Sprach­gebrauch färbt sich die Woche bunt. Der Tag vor Kar­frei­tag hat mit der Farbe Grün jedoch — auch wenn es nicht schneit — nur wenig zu tun: Wahr­schein­lich kommt der Name vom mittel­hoch­deut­schen "gronan", was so viel heißt wie "weinen".

Bayerischer Rundfunk

Ein Ver­bum gronan ist im Mit­tel­hoch­deut­schen in dieser Lau­tung un­mög­lich und natür­lich auch nicht be­legt. Auch wenn es existierte, wäre die Um­laut­form grüen∙ eben­falls un­möglich.

Anders die Augsburger Allgemeine. In einem Serviceartikel läßt sie keinen Zweifel. Aus Hörensagen wird Gewißheit:

Der Gründonnerstag […] hat seinen Namen von „grei­nen“ (wei­nen). An das Miss­ver­ständ­nis vom „Grün“-Donners­tagQuerverweis: Über den fal­schen Gebrauch von Gänse­füß­chen in der Wort­bil­dung erinnert der Brauch, grü­nes Gemüse oder die „Greitl­suppe“ zu essen.

Augsburger Allgemeine

Herausstechend übel ist die Karlsruher Newsseite Ka-News.de:

Der Name des "Grün­donners­tag" leitet sich von dem Wort "grei­nen" oder "gro­nan" ab, was soviel wie "trauern" oder "weinen" bedeutet. Dem­ent­sprechend wird in den katho­lischen Kirchen am Grün­donners­tag das letzte Abend­mahl Jesu bezie­hungs­weise Eucharistie — ganz in weiß — gefeiert.

Ka-News

Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Weiß bedeutet als litur­gische Farbe das Gegen­teil von Trauer und Wei­nen. Es ist die Farbe der Hoch­feste und wird auch bei Heiligen­feiern verwendet, sofern der Heilige kein Märtyrer ist (Blut!). Deshalb ist die litur­gische Farbe des Kar­frei­tags, wo wirk­lich getrauert wird um das vergos­sene Blut Jesu, rot.

Löblich dagegen der Reutlinger General-Anzeiger. Die Redakteure sind keine IndogermanistenVideo-Tutorial: Indogermanisch und nicht indoeuropäisch und geben das auch zu:

Erklärungen für das Wort Gründonnerstag: Herleitung über die Farbe Grün, etwa weil an diesem Tag vor allem grünes Gemüse verzehrt wurde. Ein anderer Ansatz geht über das Wort »greinen« für »weinen«.

Reutlinger General-Anzeiger

So muß gute Berichterstattung aussehen. Denn erstens ist kei­ner der Be­richte im­stande, eine wissenschaftliche Quelle für diese Etymologie zu nennen, zweitens findet sie sich nicht in anerkannten Wörterbüchern wie dem Etymologischen Wörterbuch von Kluge/Seebold oder Grimms Deut­schen Wörterbuch. Ein Jour­na­list muß also kennt­lich machen, daß es sich hier nicht um die communis opinio der histo­rischen Sprach­wissen­schaft handelt, sondern um reines Hören­sagen.

Etymologische Prüfung

Wie kann man eigentlich herausfinden, ob zwei Wörter mitein­ander verwandt sind? Reicht es, wenn sich die beiden Wörter ähnlich sehen, oder muß auch eine vernünftige Verknüp­fung der Bedeu­tung her­aus­kommen?

Grün∙ und gronan/greinen/grunen sehen sich tatsächlich ähnlich. Und auch der Karfreitag hat mit der Klage und Trauer zu tun. Die ver­dun­kelte Vor­silbe Kar∙ geht auf ein alt­hoch­deut­sches weib­liches Sub­stan­tiv chara Trauer, Buße zurück (charēn oder charōn klagen, trauern, vergleiche englisch to care).

Liegt es da nicht nahe, daß auch der Gründonnerstag zum Weinen war? Möglich. Aber am Karfreitag wurde Jesus gekreuzigt, am Don­ners­tag nicht. Im Gegenteil: Es ist der Tag des letzten Abendmahls, der dies cenae domini.

So verführerisch es scheinen mag, nach dem gesunden Men­schen­ver­stand, äußer­licher Ähn­lich­keit und historischer Plausi­bili­tät zu urteilen: All diese Fak­toren zählen nicht in wissen­schaft­licher Etymologie. Einzig und allein zählen die Lautgesetze.

Ein Beispiel: Das lateinische Wort deus und das griechische theos be­deuten beide Gott. Diese Sprachen sind eng verwandt, und die Be­grif­fe sehen sich überwältigend ähnlich: Sie beginnen mit einem Dentallaut d/th, darauf folgt e und am Ende die jeweils typische Endung für mas­kuline Substantive, im Lateinischen ∙us und im Griechischen ∙os.

Dennoch haben die beiden Wörter etymologisch nichts miteinander zu tun. Ihre Ähnlichkeit ist reiner Zufall. Denn lautgesetzlich findet sich überall dort, wo ein Wort im Griechischen mit th∙ (Theta) beginnt, im Lateinischen ein f∙:

  • Griechisch thymos : lateinisch fumus (Rauch, Zorn)
  • Griechisch theos (Gott) : lateinisch fa∙nus (göttlicher Bereich)
  • Griechisch Zeus : lateinisch deus (Gott)

Umgekehrt hat das altindische Wort cakras keine Ähnlichkeit mit dem grie­chischen kyklos und dem engli­schen wheel. Dennoch bedeu­ten alle Wörter Rad und sind Ab­kömm­linge ein und desselben spät­urindo­germa­nischen Wortes für Rad.

Zur Überprüfung der Behauptung, Gründonnerstag stehe ety­mo­lo­gisch mit gronan, greinen, grunen in Verbindung, müssen wir also über­prü­fen, ob die Laut­gesetze eine Brücke zwischen diesen Begrif­fen schla­gen oder nicht.

grüendonerstac

Der Begriff Gründonnerstag ist erst seit dem Hoch­mitt­alter als grüen­doners­tac belegt (um 1340). In jener Zeit ging das Mittel­hoch­deutsche lang­sam aber sicher ins Früh­neu­hoch­deutsche über. Be­reits damals sprach man vom grünen Donners­tag. Von Anfang an wird der Grün­donners­tag also mit der Farbe Grün in Ver­bin­dung ge­bracht. Das allein spricht schon dagegen, daß die tradi­tio­nelle Deu­tung eine Volks­etymo­logie ist.

gronan, greinen, grinnen

Das in der Presse kolportierte Verbum gronan kann nicht Mittel­hoch­deutsch sein, weil bereits im späten Althoch­deutschen alle Vokale in un­be­ton­ten Silben zu e wurden. Auch im Alt­hoch­deutschen oder sonstwo fanden wir kein gronan. Es handelt sich wohl um journa­listische Flü­ster­post. Das Alt­hoch­deutsche kennt die grun, Verder­ben, Unglück, Elend, Jammer, aber ein dazu­gehören­des Verbum grunan oder grunēn fanden wir nicht.

Das Mittelhochdeutsche kennt jedoch die Verben grinnen, grannen, grennen. Zudem gibt es im heutigen Deutschen greinen, das auf alt­hoch­deutsch grīnan zurückgeht.

greinen und grüen

Wir müssen nun prüfen, ob eines der tatsächlich existierenden Verben mit dem Begriff grüen in lautgesetzlichliche Übereinstimmung gebracht werden kann.

An den Konsonanten gr∙ und ∙n ist nichts auszusetzen. Es geht um den Vokal der Wurzel.

grüen

Beginnen wir mit grün, das Mittelhoch­deutsch grüen geschrie­ben wird. Was für ein Laut ist dieses üe? Das können wir in zwei Stufen klären. Zunächst schauen wir uns an, was aus germanischen Wörtern im Deut­schen wird, die ein langes ō in der Wurzel haben. Unser Beispiel ist das Wort für Fuß:

Entwicklung des langen o-Lautes im Deutschen: o wird uo wird ue
Sprachstufe Laut
Germanisch ō fōtuz
Althochdeutsch ō →ua fōz →fuaz
Mittelhochdeutsch uo fuoz
Neuhochdeutsch u Fuß

Im Spätalthochdeutschen kommen die Deutschen auf folgende Idee: Wenn der Stammvokal ein langes ō oder ua ist und hinten in der Endung des Wortes ein helles i folgt, dann hellt man auch das dunkle ō ein biß­chen auf. Dadurch werden sich die beiden Vokale etwas ähnlicher, was das Sprechen bequemer macht. Das ist die Geburtsstunde des Um­lauts: Aus einem dunklen und langen uo-Laut wird im Mittel­hochdeut­schen üe (ein langes ü). Das ver­ursach­ende i (oder ähn­liche Laute) wird bereits am Ende des Althoch­deut­schen wie alle ande­ren Vokale am Wort­ende zu einem unbetonten e, so daß die Ur­sache des Umlauts nicht mehr zu er­ken­nen ist. Ein sol­ches i hatte zum Bei­spiel der Plu­ral von Fuß:

Der Umlaut aus uo ist üe.
Sprachstufe Laut
Mittelhochdeutsch üe füeze
Neuhochdeutsch ü Füße

Die Buchstaben üe wie in grüendonerstac und füeze bezeichnet also den Umlaut aus uo.

greinen, grinnen, grannen, grennen

Der Diphthong (Zwievokal) ei im neuhochdeutschen Wort greinen ist im Übergang vom Mittel- zum Neuhochdeutschen aus einem langen ī ent­stan­den (so­ge­nann­te Neuhoch­deutsche Diph­thongierung: hūs →Haus):

>Das lange ī wird im Neuhochdeutschen zu ei diphthongiert.
Sprachstufe Laut
Germanisch ī grīna∙ rīda∙
Althochdeutsch ī grīna∙n rīda∙n
Mittelhochdeutsch ī (grīne∙n) rīde∙n
Neuhochdeutsch ei greine∙n reite∙n

Urteil

Bei uo/üe → ü und ī → ei handelt es sich um zwei separate Ent­wick­lungs­stränge. Es gibt keine Möglichkeit, daß aus einem langen ī im Mittel­hoch­deut­schen ein üe wird. Grüendonerstac kann also nicht mit einem Verb grīnen verwandt sein.

Auch bei den anderen Verbformen ist das nicht möglich. Das kurze i in grinnen, das kurze a in grannen und das kurze e in grennen können nicht zu üe werden.

Auch das althochdeutsche grun mit kurzem u wird im Mittel­hoch­deut­schen nicht zu üe, sondern bleibt u. Auch wenn es wegen eines i-Lautes in der Endung umgelautet worden sein sollte (wofür es keine Belege gibt), so wäre daraus ü entstanden und nicht üe.

Keine der Verbvarianten kann also im Mittel­hoch­deut­schen mit üe erscheinen. Das ginge nur, wenn es im Germa­nischen ein langes ō ent­hal­ten hätte. Dies ist allerdings aus­geschlos­sen, weil dann die belegten Verb­formen nicht so existieren dürften, wie sie aussehen.

gruoan

Es gibt allerdings ein Verbum, das laut­gesetz­lich schnur­gerade zum Grün­don­ners­tag führt: das althochdeutsche gruoan (aus ger­ma­nisch grō∙). Es bedeutet wachsen, gedeihen und ist heute im Deut­schen ausge­storben, im Englischen jedoch noch gebräuchlich: to grow.

Im Althochdeutschen wurde davon das Adjektiv gruoni abgeleitet. Weil die Endung ein i enthällt, erscheint das Wort im Mittel­hoch­deut­schen mit Umlaut: grüene. Daraus wurde unser Wort grün.

Ein ähnliches Verb ist uns erhalten geblieben: althochdeutsch bluoan → mittelhochdeutsch blüen → neuhochdeutsch blühen.

Lautgesetzlich läßt sich der Gründonnerstag also ausschließlich mit dem Verb gruoan und dem Adjektiv gruoni verbinden. Die Deutung grü­ner Donnerstag kann also keine Volks­etymo­logie sein. Eine Volks­etymo­logie, also eine unfach­männi­sche etymo­logische Deutung aus dem gesunden Menschen­verstand heraus, ist dagegen die Verknüpfung des Grün­donners­tags mit greinen. Zum Unfachmännischen gehört auch, daß man sich lauter Ad-hoc-Erklärungen einfallen läßt: Greinen, weil am Grün­donners­tag Pacht­zinsen fällig wurden usw. All das hat keine Be­deu­tung, wenn die Lautgesetze etwas andres sagen.

Greinen

Schließlich ergibt sich die Frage, was das Verbum greinen wirk­lich be­deutet: Der Internetmythos behauptet ja, Gründonnerstag wäre ein Trauertag und greinen bedeute weinen. Greinen müßte also die Emp­findung der Traurigkeit ausdrücken.

Grimms WörterbuchExterner Link: ›Greinen‹ in Grimms Deut­schem Wör­ter­buch auf­schla­gen gibt für greinen die Bedeutung den mund verziehen zum knurren, winseln, heulen, lachen an.

Auch im Althochdeutschen ist die Bedeutung von grīnan man­nig­fal­tig: bellen, heulen, knurren, kläffen, krächzen.

Heute greinen vor allem Kleinkinder. Aber nicht aus Traurigkeit, sondern weil sie ihre Eltern seelisch zermürben wollen. Greinen ist eine Form des Quengelns. Dahinter steht nicht Trauer, sondern Müdigkeit.

Das Isländische kennt das Verbum grenja. Es kann zum Beispiel so ver­wendet werden:

  • grenjandi rigning fauchender Regen
  • krakkar grenja Kinder greinen/quengeln
  • grenjandi hríð heulender Schneesturm
  • naut grenja Rindviecher brüllen

Das Englische kennt das Verbum to groan. Es bedeutet ächzen, stöh­nen, knarzen.

All diese Belege zeigen, daß Trauer und Klage nicht der Kern der Wortsippe sein können. Daß sie einmal für weinen steht, ist nur Zufall, denn das Verbum bezieht sich gar nicht auf eine Empfindung, sondern beschreibt ein rein akustisches Phänomen, eine Tätigkeit des Mundes.

So gehören hierher auch englisch to grin, isländisch grínast und deutsch grinsen.