Die AGB, AGBs, AGBen, AGB’s oder AGB’en?
schrift
Die AGB, AGBs, AGBen, AGB’s oder AGB’en? Akronyme sind Abkürzungen, die mit den Anfangsbuchstaben der Einzelglieder geschrieben werden. Doch wie werden sie gebeugt, in die Mehrzahl gesetzt und richtig geschrieben?
Dauer: 15 Minuten.
Akronyme
Wir nennen eine Abkürzung Akronym, wenn sie aus den Anfangsbuchstaben einer Phrase oder einer Wortzusammensetzung gebildet ist:
- Allgemeine Geschäftsbedingungen → AGB
- A, B, C → ABC, Abece
- Digital Versatile Disk → DVD
- Hypertext Markup Language → HTML
- BundesGerichtshof → BGH
Wortbildung und Beugung
Die entscheidende Frage bei Akronymen ist, ob man Endungen wie die des Genitivs oder des Plurals schreibt:
- die Entscheidung des BGHs oder des BGH?
- nach Paragraph 12 unserer AGBs oder AGB?
Die Schreibung wird nicht von der amtlichen Rechtschreibung geregelt, weil es sich im Kern nicht um ein allgemeingültiges orthografisches Problem handelt, sondern um ein morphologisches und graphemisches im speziellen Sinn.
Es besteht ein Unterschied zwischen Schreiben und Sprechen. Beim Sprechen dürfen die Endungen nicht weggelassen werden. Die Form /unsere Agebe/
ist mündlich falsch, denn es ist der gesprochenen Sprache egal, wie ein Wort entstanden ist, wo es herkommt und wie man es schreibt; es wird unter allen Umständen nach dem System der Flexion des Deutschen gebeugt: /die agebes/
.
/ /Formen in Schrägstrichen bezeichnen explizit mündliche Formen.
<> Formen in Spitzklammern bezeichnen ausdrücklich Schreibweisen.
Dies gilt grundsätzlich auch beim Schreiben, weil das Schreiben nur ein Abklatsch der gesprochenen Sprache ist. Es gilt der Primat der gesprochenen Sprache: Das Deutsche ist als Sprachsystem das, was gesprochen wird.
Auch die geschriebenen Akronyme sind also gebeugt. Dennoch sind zwei Schreibungen möglich:
- Phonetische Schreibung:
unsere AGBs
; - Schreibung als typografische Sigle:
unsere AGB
.
Auch bei der Siglenschreibung muß die Endung gelesen werden, so wie man auch die Siglen @ nicht als /a/, sondern vollständig als /ät/ liest. Dasselbe gilt für © oder §. Sie stehen als Siglen für /copyright/ und /paragraph/ und werden nicht /tse/ oder /essess/ gelesen.
Phonetische Schreibung: Unsere AGBs
Um dies zu verstehen, muß man sich klarmachen, daß Akronyme nur einmal im Kopf ihres Erfinders entstehen und dann aus der Sicht der Sprache — und die Rede ist ausschließlich von der gesprochenen Sprache! — ganz normale Wörter sind. Sie werden also nicht bei jeder Verwendung vom Anwender neu kompiliert, wie man vielleicht glauben könnte. Von normalen Substantiven wie Haus
unterscheiden sich Akronyme daher nur in der Schreibung — aus Sicht der gesprochenen Sprache besteht überhaupt kein Unterschied. Dort sehen die AGB
so aus: /die agebes/
.
Das Substantiv /agebe/
ist neu. Es wird wie alle neuen Substantive stark gebeugt. Zudem endet es auf einen Vokal, der korrekte Plural muß also /agebes/
lauten, wie bei allen starken Substantiven, die auf einen Vokal ausgehen:
- die Canapés
- die Cafés
- die Müslis
- die Muttis
- die Jogis
- die Jusos
- die Dodos
- die Tattoos
- die Menüs
- die Verandas
Es spielt keine Rolle, daß das letzte Glied der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
vor der Wortbildung die Pluralendung ∙en
hatte. Die Schreibung unsere AGBen
ist grammatikalisch falsch, weil /agebe/
als starkes Substantiv nicht die schwache Pluralendung ∙en
haben kann. Einzig richtig ist unsere AGBs
.
Nun stellt sich die Frage, was an der Schreibung <unsere AGBs>
für /unsere agebes/
denn phonetisch sein soll. Die Schreibung ist ja eine Akronymschreibung mit VersalbuchstabenExterner Link zum Wiki von typografie.info: Versalien als typografischer Fachnegriff für Großbuchstaben, also ziemlich unphonetisch.
Nein. Bei normaler Schreibung mit Kleinbuchstaben wird angezeigt, daß die Buchstabenzeichen als Laut zu sprechen sind. Wo der Buchstabe <s>
steht, wird der Laut /s/
gesprochen.
Die Versalien des Akronyms zwingen den Leser dazu, nicht den Lautwert eines Buchstabens zu sprechen, sondern seinen Namen. Der Name von B
ist Be
. Wo ein B
steht, wird also nicht nur /b/, sondern /be/
gelesen. Deswegen lesen wir AGBs
als /agebés/
. Auch die Betonung der letzten Silbe wird dabei automatisch richtig umgesetzt.
Die Mehrzahlendung ∙s
muß kleingeschrieben werden, denn hier soll wieder der phonetische Wert des Buchstabens gelesen werden und nicht sein Name. Es handelt sich also um das Rebus-
Typografische Siglenschreibung: Unsere AGB
Ebenso richtig ist die typografische Siglenschreibung. Eine Sigle ist ein unveränderliches Zeichen, das in diesem Fall aus drei Versalien (AGB) besteht. Die drei Buchstaben sind hier jedoch keine Buchstaben mehr, sondern nur noch grafische Elemente des Zeichens (für Designer: in Pfade umgewandelt
). Auch ©, $, %, &, § und ℅ sind Siglen.
Einzahl: Die Sigle
von lateinisch sigla
, im Plural die Siglen
.
Bei der Siglenschreibung steht die Sigle als Ideogramm (Bildzeichen) für ein Wort. Ihm werden in der Schrift keine Endungen angefügt, bei der Aussprache aber grundsätzlich schon: unsere AGB
→ /unsere agebes/.
Das gilt auch für Siglen, die irrtümlich als Symbol gedeutet werden. Die Sigle ☧ steht für den Namen /christus/ und nicht als Symbol für alles irgendwie Christliche.
Phonetische Schreibung oder Sigle?
Beide Schreibungen sind grundsätzlich möglich. In der Praxis gibt es jedoch eine klare Verteilung:
Die Siglenschreibung ist in konventionalisierten Gebieten üblich, zum Beispiel in der Justiz oder der Chemie. Die Sigle Na
steht als Zeichen für das Element Natrium und wird als /natrium/ gelesen. Das Anhängen von Endungen ist im Schriftbild per Konvention verboten. Man schreibt die Reaktivität des Na
ohne Genitivendung, spricht aber /des natriums/
.
Im Rechtswesen werden Rechtsinstanzen durch Akronyme bezeichnet, zum Beispiel Gesetzbücher wie StGB, BGB, StPO
oder Gerichtsinstanzen wie BGH
, AG
oder StA
.
Die Konventionalisierung, die ihren Sinn in der schnellen und eindeutigen Verständigung findet, ist hier so weit fortgeschritten, daß auch Kleinbuchstaben als Siglenelemente verwendet werden, das heißt den Namen des Buchstabens bezeichnen. Die Erkennbarkeit bleibt gewahrt, indem nach dem ersten Kleinbuchstaben immer noch einmal ein Großbuchstabe (StGB)
folgt, was bei normaler Schreibung unmöglich ist. Die Glyphenhaftigkeit wird dadurch sogar noch gesteigert. In dieser extremen Konvention werden die Akronyme auch beim Aussprechen oft nicht dekliniertTutorial: Deklination der Substantive:
/nach paragraph neunzehn ess-te-pe-o ist es unzulässig …/
(Sprechsiglen)
Daneben aber auch:
/nach paragraph neunzehn der Strafprozeßordnung ist es unzulässig …/
Auch in der Philologie und Schriftsetzerei sind Siglen sehr verbreitet. Ein Beispiel ist das Deleatur-
Phonetische Schreibung: Entsteht ein Text nicht im Rahmen einer beruflichen oder wissenschaftlichen Konvention (Briefe, Kataloge, Zeitungsartikel usw.), sollte phonetisch geschrieben werden. Die Siglenschreibung ist hier strenggenommen falsch, weil Siglen per Definition eine Konvention voraussetzen.
Wie bei den Allgemeinen Geschäftsbedingungen
kommt es jedoch vor, daß ein Akronym aus der Konvention des Rechts auch von Laien viel verwendet wird, was allerdings nichts daran ändert, daß es sich um einen Terminus technicus des Rechts handelt. Hier kann die Konvention des Rechts auch in normaler Geschäftskorrespondenz verwendet werden, um auf die rechtliche Natur aufmerksam zu machen, aber stilistisch wäre auch in solchen Fällen der phonetischen Schreibung der Vorzug zu geben, weil Geschäftskorrespondenz in diesem Sinne nichtkonventionalisiert ist.
In Zeitungsartikeln oder Prosatexten des Alltags hat die Siglenschreibung keinen Sinn.
Akronyme mit Apostroph
Manchmal sieht man zwischen dem Akronymstamm und der Endung einen Apostroph, und zwar immer dann, wenn der Urheber einer solchen Schreibung unsicher ist, ob er die Endung in Kleinbuchstaben mit den Großbuchstaben des Stamms unmittelbar verknüpfen kann: unsere AGB’s
.
Er kann — und er muß. Wann immer man zögert, zweierlei zu einem zu verbinden, kann man in der Not den Bindestrich verwenden, weil er allein die Funktion ausübt, Getrenntes miteinander zu verbinden. Die Aufgabe des Apostrophs liegt dagegen einzig darin, den Ausfall von Lauten zu markieren. Auf keinen Fall kann er Endungen mit dem Stamm verknüpfen.Tutorial mit Video: Der Apostroph.
Akronyme in der Schönliteratur
Besondere Verhältnisse gelten in der Schönliteratur. Hier werden Akronyme um jeden Preis vermieden.
Das geschieht zunächst aus ästhetischem Grund. Serien aus Versalien stören das Schriftbild. Blättert man in einem Roman die Seite um, wird ein Akronym sogleich ins Auge stechen.
Aus diesem Grund schreibt man besonders gängige Akronyme, auf die man auch in Texten mit gutem Schriftbild nicht verzichten kann, klein: der Lkw, des Lkws
. Dies ist auch vorübergehend möglich, wenn ein Akronym gerade in aller Munde ist: Akw
statt AKW
. Ein gelungenes Beispiel bei Zeit Online:
Zwar kompensiert ein Dieselmotor den Ausstoß durch einen höheren Wirkungsgrad und damit geringerem Verbrauch. Aber ganz wett macht das die Umweltnachteile nicht. Ohnehin ist die höhere Effizienz der Dieselaggregate nur ein schwaches Argument. Die in Deutschland verkauften Diesel-Pkw verbrauchen im Schnitt mehr als die Benziner — weil der Trend zu starken Dieselmotoren zugenommen hat.
Matthias Breitinger: Neue Dieselsteuer hilft der Umwelt. Zeit Online, 13.4.2011 Externer Link zum Artikel auf Zeit Online
Läßt es sich nicht vermeiden, in einem Roman in Versalien zu setzen, greift der Schriftsetzer zu KapitälchenExterner Link zum Wiki bei typografie.info: Kapitälchen. Dabei handelt es sich um Großbuchstaben in der Höhe von Kleinbuchstaben, die in der professionellen Schriftsetzerei aber keine skalierten Versalien sein dürfen. Für Akronyme mit Endungen kommt diese Praxis aber nicht in Frage, weil dabei die Kapitälchen des Stamms mit den Kleinbuchstaben in einem Wort aufeinandertreffen.
Zum schriftsetzerisch-ästhetischen Grund kommt ein sprachstilistischer hinzu. Gutes Deutsch — und besonders schöne Prosa und Lyrik — erkennt man daran, daß es so klingt, als wäre es für diesen Text erfunden worden. Das Deutsch eines Romans ist also dann gut, wenn es einen vergessen macht, daß außerhalb dieses Romans hunderttausend Menschen jeden Tag Millionen von deutschen Sätzen produzieren und dabei dieselben Wörter gebrauchen wie die Erzählstimme des Romans.
Akronyme zerstören den Eindruck hermetischer Sprache. Spricht in einem Roman ein Staatsanwalt bei Gericht, wird er von der Strafprozeßordnung sprechen und nicht von StPO. In einem noch hermetischeren Roman gibt es wahrscheinlich gar keine Strafprozeßordnung.
Wie hermetisch die Sprache eines Romans ist, hängt natürlich davon ab, wie hermetisch Inhalt und Erzählstimme sind. Kommt im Roman eine Firma mit dem Namen AEG
vor, kann ein Akronym gebraucht werden. Hermetischer wäre es, den Namen auszuformulieren und von der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft
zu sprechen.