Der Führerin entgegen!
Die wissenschaftliche Erforschung des deutschen und indogermanischen Genussystems im Gegensatz zum ideologischen Gendersprech.
Dieser Artikel ist auch als E-Book (EPUB) erhältlich. Eine ausführliche Darstellung finden Sie im BL-Buch (Info und Leseprobe)
Bürger und Bürgerinnen
Unser Blick in die Vergangenheit der deutschen Sprache reicht anderthalb Jahrtausende weit bis zu Fibeln und Gürtelschnallen, auf denen unsere Vorfahren einander in Runen ihre Zuneigung bekundeten.
In all dieser Zeit findet sich kein Moment, in dem die Anwesenheit einer Frau nicht der Erwähnung wert gewesen wäre.
Die von unseren Politikern so verehrten (Bürger und) Bürgerinnen sind als Begriff wie die Fülle der deutschen Städte über achthundert Jahre alt. Im Mittelalter wimmelt es von beckerinnen, weberinnen, wirtinnen, zouberinnen, arzatinnen, meisterinnen, friuntinnen
und sogar einer marnerin
, einer Seefahrerin.
Unter uns Germanen begannen zuerst die Goten im vierten Jahrhundert nach Christus mit dem Schreiben. Auch sie ließen Frauen nie unerwähnt: frijond·s
(Freund) und frijond·i
(Freund·in).
Unser Blick reicht weit über das Germanische hinaus. Die frühesten Schriftbelege der indogermanischen Sprachfamilie, von der das Germanische nur einer von dreizehn Zweigen ist, stammen von den Hethitern und sind dreieinhalb Jahrtausende alt. Frauenbezeichnungen schöpften sie wie wir mit einem Suffix: hassus
(König) und daraus hassus·saras
(König·in).
Die Motion, wie man solche Frauenableitungen fachlich nennt, ist in der indogermanischen Kultur überall Brauch und verdrießt uns erst, seit sie keine tatsächliche Frau aus Fleisch und Blut mehr voraussetzt, sondern Programm ist.
Unser Programm lautet: Geschlecht, Hautfarbe, sexuelle Orientierung und andere angeborene Eigenarten sollen niemand davon abhalten, das aus seinem Leben zu machen, was er möchte.
Mit Sicherheit keine Stellenanzeige, die Frauen anlockt. Dennoch zwingt die Sitte den Inserenten, Frauen ausdrücklich zu einer Bewerbung einzuladen.
Die Sitte, nicht das Gesetz. Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) beschäftigt sich zwar mit Stellenausschreibungen, erschöpft sich dabei aber in dem Gebot, dass nichtqualifizierende Eigenschaften bei der Auswahl aus den Bewerbern keine Rolle spielen dürfen. Formulierungsvorgaben oder die Sprache selbst kommen darin nicht vor.
Das schafft juristischen Kommentaren und Gerichten die Gelegenheit, sich an der Sprache abzuarbeiten.
Geschäftsführer und Geschäftsführerin
Im Jahre 2011 gab das Oberlandesgericht Karlsruhe (17U99/10Externer Link zum Gerichtsentscheid) in höherer Instanz einer Frau recht, die sich erfolglos auf eine Anzeige beworben hatte.
Weil die Frau alle qualifizierenden Eigenschaften wie Ausbildung und Erfahrung besaß, folgerte das Gericht aus der schlichten Anzeigenüberschrift Geschäftsführer
, dass die Klägerin an der nichtqualifizierenden Eigenschaft eines Penisses gescheitert war. Den konnte sie nicht vorweisen.
Dieses Urteil steht und fällt mit dem in der Urteilsbegründung ausgebreiteten Dreisatz, Geschäftsführer
würde sich auf Männer beschränken, wenn sich Geschäftsführerin
auf Frauen beschränke.
Das Gericht räumt zwar die Kluft zum Sprachgebrauch ein, in dem unter Geschäftsführer
geschlechtsindifferent der Führer eines Geschäfts verstanden wird, erklärt ihn aber ohne Begründung für unmaßgeblich.
Wenn ein Urteil aber weder auf einem Gesetz noch auf allgemeiner Gewohnheit gründet, worauf gründet es dann?
Und wie hätte der Beklagte ahnen sollen, dass er dagegen verstößt? Wie ist sein angebliches Motiv zu erklären, mit Geschäftsführer auf Männer abzuzielen, wenn der Sprachgebrauch nichts wiegt? Denn wer Sprache gebraucht, dem muss man unbedingt Sprachgebrauch unterstellen.
Die Urteilsbegründung zitiert den ersten Absatz eines juristischen Kommentars. Darin heißt es, der Ausdrucksweise sei nach AGG Rechnung getragen, wenn Doppelformen Geschäftsführer/-in
oder neutrale Oberbegriffe Geschäftsführung
verwendet werden. Denzweiten Absatz des Kommentars hat das Gericht aus gutem Grund unterschlagen:
Aber auch wenn allein die prima facie männliche Bezeichnung verwandt wird, kann der Gesamtkontext der Ausschreibung ergeben, dasseine Geschlechtsdiskriminierung nicht beabsichtigt wird. Es entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch, dasseine männliche Bezeichnung verwandt werden kann, ohne allein auf männliche Arbeitnehmer hinzuweisen[.]
Gregor Thüsing u. a.: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. § 11 AGG. München 2012.
Der Kommentar widerspricht dem Gericht. Beide liegen aber gemeinsam in der Ad-hoc-Annahme falsch, es würde sich bei Formen wie Geschäftsführer
um männliche Formen handeln.
Sprache ist nichts anderes als Sprachgebrauch. Es gibt keine über den Wassern des Rheins schwebende Göttin Germania oder wahres Deutsch, das uns in den Genen steckt. Sprache ist, wie wir sprechen.
Wenn Geschäftsführer
dort nicht als männlich gilt, wie kann es dann dennoch männlich sein, aber auch für Frauen verwendet werden? Und wer wird schon Unternehmer, wenn er sein Geld auch als Büstenhalter verdienen kann?
Ikonizität
Ein wesentliches Konstruktionsprinzip der Sprache ist IkonizitätTutorial: Geistig und geistlich? Ikonizität in der Sprache.. Das Wohlverhältnis von Inhalt und Form ist auf dieser Ebene der Sprache keine Frage des Geschmacks, sondern zwingend wie die Klammerregeln in der Algebra.
Geschäftsführerin
ist der Form nach länger als Geschäftsführer
, es enthält mit dem Suffix ·in
ein Kompositionsglied mehr. Und auch inhaltlich enthält die Motionsform mehr, nämlich die Information, dass das Bezeichnete eine Frau ist, das heißt ein bestimmtes biologisches Geschlecht hat.
Bezöge sich Geschäftsführer
ausdrücklich auf Männer und schlösse Frauen aus, müssten wir darin ein Kompositionsglied finden, das diese Information — nur Männer und keine Frauen — enthält. Wir finden es aber nicht.
Das einzige Kompositionsglied in Geschäftsführ·er
, nämlich ·er
, steckt auch in Geschäftsführ·er·in
. Nach der Deutung des Gerichts wäre diese Form so zu deuten:
Wobei es annimmt, ♀ würde ♂ von rechts nach links annullieren, also die Mannsartigkeit gänzlich tilgen.
Wer gewissenlos ist, dem mangelt es an Gewissen. Das Suffix ·los
löscht gewissen·
nicht. Das Gewissen wird erst angesprochen und einem dann abgesprochen. Als Information bleibt es erhalten.
Darin liegt ein Schritt, der ‚Geschäftsführ·♂·♀‘ fehlt, hier tilgt ♀ nämlich ♂ im Inhalt gänzlich, in der Form ·er·
bleibt ♂ jedoch bestehen.
Fällt Ihnen ein anderer Ausdruck ein, in dem eine Information inhaltlich gestrichen wird, aber in der Form erhalten bleibt?
Denken Sie nicht zu lange nach, die Suche wäre vergeblich. Der Urgrund für den Irrtum liegt nämlich nicht in der Wortbildung, er liegt im Genus: Der Geschäftsführer ist maskulin, die Geschäftsführerin feminin.
Der juristische Kommentar lässt daran keinen Zweifel: ein männliches Wort, das aber im Sprachgebrauch auch für Frauen verwandt wird.
Grammatisches Geschlecht
Das grammatische Geschlecht ist ein eitel Karfunkelstein. Juristen, Politiker und Feministen können der Versuchung nicht widerstehen, ihn in die Hand zu nehmen und nie mehr loszulassen. Biologisches und grammatisches Geschlecht schimmern so listig überein, dass ihm kein Laie aus eigener Kraft entrinnt. Im Gegenteil, der Trug drängt ihn zu großen Taten.
Beginnen wir ein Experiment! Legen Sie bitte Ihren Zeigefinger in der folgenden Tabelle auf die Stelle, die Mann männlich, Frau weiblich und Ding zu einer Sache macht:
Maskulinum | Femininum | Neutrum |
---|---|---|
der Mann | die Frau | das Ding |
Liegt Ihr Finger links auf dem Artikel, in der Grundschule auch Geschlechtswort genannt? Dann haben Sie hoffentlich eine Erklärung dafür parat, warum der Löffel maskulin, die Gabel feminin und das Messer sächlich sind.
Wie ist das grammatische Geschlecht entstanden?
Das grammatische Geschlecht und seine schlampige Verteilung über die Hauptwörter unserer Sprache erklärt man sich als Ottonormaldeutscher üblicherweise so, wie es seltsamerweise auch der Sprachwissenschaftler Guy Deutscher seinen Lesern erklärt:
Warum entwickeln so viele Sprachen unregelmäßige Genera? Über die Kindheit von Genussystemen wissen wir nicht viel, denn in den meisten Sprachen ist die Herkunft der Genusmarkierungen völlig unklar. Doch die wenigen Anhaltspunkte, die wir haben, lassen die allgegenwärtige Irrationalität ausgebildeter Genussysteme besonders eigenartig erscheinen — denn alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Genera in ihrer Frühzeit absolut logisch verteilt waren.
Guy Deutscher: Im Spiegel der Sprache. Warum die Welt in anderen Sprachen anders aussieht. Übersetzt von Martin Pfeiffer. München 2010. Seite 233.
Es gab also ein goldenes Zeitalter, in dem alle unbelebten Dinge sächlich (Neutra) und unter den Lebewesen die Männer und Männchen maskulin und die Frauen und Weibchen feminin waren. Im Eifer eines äonenlangen Gefechts und durch die Sorglosigkeit des Alltags ist diese absolut logische Verteilung zu einer Unordnung sondergleichen verkommen.
Werfen wir einen Blick auf andere indogermanische Sprachen wie das Französische oder das Russische, stoßen wir dort auf die gleiche Unordnung wie im Deutschen.
Bei genauem Hinsehen findet sich in der überall gleichschlimmen Unordnung dieselbe Struktur. Ebenso in Sprachen, die vor langer Zeit gesprochen wurden, das Lateinische zum Beispiel, das Griechische oder das älteste Indisch aus den Veden.
Die Unordnung ist nämlich aus dem Urindogermanischen ererbt.
Guy Deutscher könnte einwenden, das goldene Zeitalter liege dann eben noch vor dem Urindogermanischen. Die Ursprache des gesamten Menschengeschlechts ist schließlich um ein Vielfaches älter als die Ursprache der indogermanischen Sprachen.
Das klingt so plausibel, wie es falsch ist. Unser Genussystem ist in späturindogermanischer Zeit entstanden und funktioniert heute nach der gleichen strengen Logik wie damals. Allerdings ist diese Logik nicht mit dem ungesunden Menschenverstand zu vergleichen, den wir närrischerweise auch Logik nennen. Er lässt uns falsch finden, was nicht so ist, wie wir es erwartet haben.
s-Wörter
Die Sprecher des Urindogermanischen lebten als halbnomadisches Clanvolk am Schwarzen Meer oder nördlich davon und trieben Viehwirtschaft. Genera gab es zunächst nicht.
In der späten ursprachlichen Phase, kurz vor dem Abwandern der ersten Clans aus der Sprachgemeinschaft, wird das Subjekt in Sätzen mit einer Handlung, die ein Objekt erfordert (transitive Aussagen: Der Mann pflückt einen Apfel), durch die Endung ·s
markiert.
Es ist ebendas ·s
, das später im Lateinischen als ·(u)s (amicu·s, leg·s → lex, communi·s)
und im Griechischen als ·(o)s (philo·s, Styg·s → Styx)
die typische Endung maskuliner Substantive werden wird. Bei uns im Westgermanischen ist es lange geschwunden (urgermanisch daga·s
→ gotisch dag·s
, aber deutsch Tag
und englisch day
).
Dass diese Endung allein das Subjekt kennzeichnet und nicht Begriffe als belebt oder beseelt (engl. animate) kategorisiert, wie manchmal in Analogie zu afrikanischen Sprachen angenommen wird, ergibt sich zwingend aus dem ·s
. Der Grieche rief ‚Phile·0!‘ (Freund?!) und nicht ‚Philo·s!‘. Nach einem Römer, der als Subjekt Marcu·s
hieß, rief man ‚Marce·0!‘.
m-Wörter
Es liegt in der Natur einiger Dinge, nie als Subjekt auf ein Objekt einzuwirken. Eine Leber beeinflusst zwar als Subjekt den Blutzuckerspiegel als Objekt, doch ein prähistorischer Halbnomade kannte nur ausgeweidete Lebern. Die konnten schmecken, rötlich glänzen oder glibbrig sein. Deswegen trat das Leberwort iékwr
nie als s-Wort auf.
Aus der Wurzel jeug·
mit der Bedeutung ‚anschirren‘ lässt sich jugó·m
mit der Bedeutung ‚angeschirrt, das Geschirre‘ bilden.
Diese m-Wörter bezeichneten das Ergebnis einer Handlung. Sie waren grundsätzlich abstrakt und traten zuerst nie als Subjekt auf, deshalb wurde ihr m-Ausgang zum typischen Merkmal für das Objekt und auch auf s-Wörter übertragen, wenn sie einmal als Objekt gebraucht werden: lateinisch amicu·m
(den Freund).
Mit dem zivilisatorischen Fortschritt mündeten Neutra als Ergebnis einer Handlung nicht selten in einem tatsächlichen Gegenstand: Das jugó·m
(Geschirre) ist das Ergebnis des Anschirrens jeug·
, zugleich aber ein Gegenstand, nämlich das Joch.
Von da an traten Neutra als Subjekt auf. Sie blieben dabei in ihrer m-Form, weil erst die m-Endung aus einer Handlung ein Nomen machte, das das Ergebnis der Handlung darstellte.
Entstehung des Neutrums
Das ist die Geburt des Neutrums als erstes Genus. Sie bestimmt zugleich für alle Zeiten, dass Neutra im Nominativ und im Akkusativ dieselbe Form haben:
Mit der zivilisatorischen Entwicklung der Indogermanen sprießen die m-Wörter in Fülle. Bis heute bezeichnen Neutra die Abstraktion einer gewissen Handlung. Führt diese Handlung wie das Drehen zu keinem Ergebnis, bezeichnet es die Handlung selbst:
Mündet die Handlung in einem Ergebnis, bezeichnet das Neutrum das Ergebnis:
Einen Gegenstand bezeichnet das Neutrum nur, wenn die Handlung außersprachlich in einen Gegenstand führt.
Das Leid ist, was man leidet; das Wort (lateinisch verbum
) ist, was man sagt (urindogermanischVideo-Tutorial: Indogermanisch und nicht indoeuropäisch werdh·o·m
zur Wurzel werdh·
‚sagen‘); das lateinische factum
(Tatsache) ist, was man getan hat (facere)
.
Maskulinum als Standardgenus
Es kann aber nicht nur ein einziges Genus geben. Im Kontrast zum Neutrum stehen die alten s-Wörter. Ihr Genus nennen wir am besten Standardgenus. Was nicht ausdrücklich Neutrum ist, ist Standardgenus.
So ist es heute noch im Deutschen: Entlehnen wir ein Wort aus dem Englischen, erhält es das Standardgenus: der Code, der Gig, der Thread, der Hoax
und viele, viele mehr.
Nur Wörter, die eine Handlung bezeichnen oder beinhalten, werden Neutra: das Tuning, das Must-have. Der Smoking sieht zwar aus wie ein Gerund auf ·ing
, bezeichnet aber keine Handlung und hat daher Standardgenus.
Für das natürliche Geschlecht interessiert sich unsere Grammatik nämlich überhaupt nicht.
Das Sprachzentrum ist eine autonome Instanz unseres höheren Denkens. Es gibt zwar Schnittstellen zur anderen Instanz, die wir Verstand nennen, sonst könnten wir unsere Gedanken über Gott und die Welt nicht in Worte fassen, aber unser Verstand hat keinen Einblick in das, was im Sprachzentrum wirklich vor sich geht.
Andernfalls müsste es die Sprachwissenschaft nicht wie eine Blackbox erforschen. Sie können jedes Wort, das ich Ihnen auf einen Zettel notiere, richtig betonen. Aber Sie können die Regel nicht formulieren, nach der Sie dabei vorgehen.
Aus diesem Grund dürfen Sie den Karfunkelstein nicht aufheben. Das Genus des Deutschen ist ein perfektes Programm, das in unserem Sprachzentrum fehlerlos und konsistent arbeitet. Geschäftsführerin
ist für unser Sprachzentrum ein Wort aus dreizehn Lauten. Was eine Frau ist und ob Sie eine sind, weiß allein Ihr Verstand.
Personennamen
Auf dem bisher gezeigten Entwicklungsstand im Urindogermanischen mit zwei Klassen (s-Wörter und m-Wörter) gehören alle Personenbezeichnungen zum Standardgenus. Diese Schicht findet sich in vielen späteren Sprachen erhalten, etwa griechisch ho pai·s
(der Knabe) neben he pai·s
(das Mädchen) oder unsere Fragefürwörter wer
gegenüber was
(lateinisch qui·s/quid
). Beim Personalpronomen wurde zu er/es
erst später sie
aus einer anderen Wurzel gebildet.
Zu jener Zeit sagten die ersten Clans der Gemeinschaft Lebewohl und zogen nach Süden. Aus ihnen ging der anatolische Zweig des Indogermanischen hervor, darunter das Hethitische und andere Sprachen, die zwar alle bereits in der Antike ausgestorben, aber gut belegt sind. Diese Belege aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus sind die ältesten, die sich in einer indogermanischen Sprache finden.
Die anatolischen Sprachen haben ein Standardgenus (atta·s
‚Vater‘, amma·s
‚Mutter‘), das formal unserem Maskulinum entspricht, und ein Neutrum (juga·n
‚Joch‘ aus uridg. jugó·m
).
Das Femininum kennen sie nicht. Dieser letzte Schritt vollzieht sich im Gemeinindogermanischen erst nach der Abspaltung der Anatolier.
Femininum
Neutra bilden im Späturindogermanischen keinen Plural, wie wir ihn als Mehrzahl von Einzelteilen gebrauchen. Unter Wörtern verstehen wir mehrere einzelne Wörter, die wir nur aufzählen, die aber zusammen keine Aussage ergeben.
Damals bildeten Neutra jedoch das, was wir unter Worten verstehen: ein Kollektiv aus Wörtern, die zwar aus mehreren bestehen, sich zusammen aber wie eins verhalten.
Aus der Einzahl werdh·o·m
(Wort) wird das Kollektiv werdh·a
(Worte). Weil ein Kollektiv als Einheit agiert, stand das Verb im Singular:
Die typische Endung für diesen Plural ist ·a:
Im Griechischen ist dies erhalten:
Im Hethitischen und seinen anatolischen Schwestersprachen ohnehin:
Im Späturindogermanischen wurden Neutra zur Bezeichnung für Werksprodukte in Massen erschaffen. Nicht alle bezeichnen etwas, was im Plural zum Kollektiv wird. Drei Joche bilden keinen Jochpark, sondern sind einfach nur eine Mehrzahl an Jochen.
Ebenso werdh·a:
Sie waren nach damaligen Verständnis mehrere einzelne Wörter, was wir daran erkennen, dass Wort noch im Deutschen und verbum im Lateinischen Neutra bleiben.
Die Trennung zwischen kollektiven Worten, Landen, Tuchen
(fachsprachlich für Tuchware) gegenüber Einzelteilen Wörtern, Ländern
und Tüchern
ist eine Eigenentwicklung des Neuhochdeutschen.
Für Wörter, die eine zusammenhängende Aussage bilden, griff man in früheren Zeiten zu anderen Vokabeln, zum Beispiel griechisch tò épos
(ein Neutrum, dessen Stamm auf ·s
endet, und kein s-Wort) ‚was gesagt epeĩn
wird.
Begriffe, deren Mehrzahl kein Kollektiv, sondern Einzelteile ausmachte, standen in der a-Form fortan mit dem Verb im Plural:
Wo der Plural kollektiv war, stand das Verb weiter im Singular, und die a-Form wurde als Singular gedeutet und auch so dekliniert: lateinisch anim·a
(Seele), griechisch demokrati·a
, althochdeutsch bluom·a
(Blume; das althochdeutsche ·a
ist über den Umweg urindogermanisch ·a
→ urgermanisch ·o → ahd. ·a
entstanden). Denn eine Blume ist, was blüht. Eine Blumenwiese ist ein Blühkollektiv.
Das ist das Femininum. Genau betrachtet ist es gar kein Kollektiv (die Worte), sondern ein abgeleitetes Abstraktum Wort·heit
.
Ist Ihnen einmal aufgefallen, wie viele abstrakte Sachen feminin sind: die Liebe, die Kunst, die Demokratie?
Genussystem
Erkunden wir die Dreifaltigkeit des Genussystems an einem Beispiel:
Das urindogermanische Lexem wegh·
bedeutet ‚bewegen‘. Aus ihm geht als Verb im Deutschen wegen
hervor, das sich erst in der frühen Neuzeit in mehrere Verben aufspaltet: bewegen, wiegen
(das Bewegen zur Bestimmung des Gewichts), wägen, wagen
.
Bildet man aus dem Lexem ein s-Wort, erhält man die direkte Nominalisierung der Bedeutung: wegh·o·s
→ der Weg. Sie steht stets im Standardgenus. Das Neutrum Gewicht
ist dagegen, was man bewegt (auch um sein Gewicht zu ermitteln) oder was etwas wiegt, also das Ergebnis des Bewegens oder Wiegens.
Die Waage ist das Bewegen und Wiegen als Abstraktion (in der Waage, in der Schwebe), die Bewegung oder Bewegerei also, und bezeichnet erst später ein Gerät für diese Tätigkeit: Huch, meine Waage geht schon wieder falsch!
Wer würde nicht gern die Waage im Badezimmer durch eine Schwebe austauschen, doch zu diesem Abstraktum ist leider kein Gerät erfunden worden.
Wenn Sie es selbst ausprobieren möchten: fallen → der Fall, die Falle, das Fallen, das Gefälle
.
So funktioniert das Genus seit dem Späturindogermanischen. Bis in unsere Zeit:
Dass aus den beiden Abstraktionsformen Genera entstanden sind, ist nur einem Umstand geschuldet: Das Urindogermanische unterschied noch nicht zwischen Substantiven und Adjektiven. Wo wir heute von einem guten Freund sprechen, sprach man einst von einem Freund, einem Guten. Nur die beiden Abstraktionssuffixe wurden in der Beifügung wiederholt, woraus die Kongruenz der Endungen entstand, die das Genus ausmachen.
Es hat den einzigen Zweck, Wörter in Scharen zu bilden. Das Indogermanische begann als Sprache eines winzigen Clanvolks, heute umspannt es die Erdkugel und hat den Mond erobert. Dieser Erfolg ist nicht durch Zeugungsfreude und Herrschsucht zu erklären, sondern durch einen einzigartigen evolutionären Vorteil, die Fähigkeit nämlich, seinen Wortschatz im Nu zu erweitern und neuen Lebensräumen anzupassen.
Auch das Semitische und das Altägyptische haben von ihrem Genussystem profitiert:
Personenbezeichnungen sind in diesem System grundsätzlich s-Wörter mit Standardgenus. Weil unserem Sprachzentrum der Unterschied zwischen Mann und Frau nicht zu vermitteln ist, gewinnen wir geschlechtsspezifische Begriffe nur durch den Trick der Übertragung.
Blanke Geschlechtsbegriffe sind entweder Metonymien, bei denen Sexualmerkmale wie das Glied (lateinisch mas
‚Männchen‘) oder die Gebärmutter (deutsch das Weib
) für den Rest der Person stehen, oder sie substantivieren typische Eigenschaften des Geschlechts wie Stärke (lateinisch vir
und deutsch Wer
wie in Werwolf
) und Fruchtbarkeit (griechisch aner
) beim Mann oder die Gebärkraft der Frau (lateinisch femina
‚Säugende → Frau‘).
Nur diese Begriffen, die Männer als Männchen und Frauen als Weibchen bezeichnen, sind wirklich geschlechtsspezifisch.
Die Fülle der Personenbezeichnungen ist allerdings aus einem anderen Sachbegriff abgeleitet:
Frauenwörter sind deshalb alle Feminina, weil dem Urindogermanischen ein Motionssuffix wie ·in
fehlte.
Ein Mann kann eine Frau zum Beispiel (eine) Schönheit nennen. Schönheit ist ein komplexes Abstraktum und ein a-Wort.
Aus dem Lykischen, einer Sprache des anatolischen Zweigs, ist uns ein solcher Fall belegt: Die Wurzel lehd·
bedeutet ‚zueinander passen‘, das Abstraktum würde lehd·a
lauten und das Zueinanderpassen in seiner ganzen Komplexität bezeichnen. Wir nennen es Liebe.
Im Lykischen ist lada
das gängige Frauenwort:
Der Rest ist nicht mehr als grammatische Kongruenz:
Auch unser Motionssuffix ·in
war im Ursprung ein Zugehörigkeitsabstraktum, das Begriffe bildete, die wir heute mit ·igkeit
bilden würden.
Ableitungen auf ·er
wie Geschäftsführer
gehören ins Standardgenus und können nur dann ausschließlich Männer bezeichnen, wenn der Mann im Lexem steckt: der Herr, der Vater
. An Geschäftsführer
ist dagegen nichts männlich.
Der Ausdruck des Bürgers bezeichnet geschlechtsindifferent alle Menschen, die Bürger sind, Bürgerin nur weibliche.
Gendersprech
Wenn wir Doppelformen wie Bürger und Bürgerinnen (in dieser Reihenfolge! — in Verwechslung mit Damen und Herren
gern verkehrtherum) in der Bedeutung ‚Bürger unter besonderer Berücksichtigung von Bürgerinnen‘ mit gesonderter Erwähnung der Frau dort verwenden, wo sie mit der gleichen Wahrscheinlichkeit auftreten sollte wie ein Mann, es tatsächlich aber noch nicht tut, schöpfen wir ein altes Mittel der deutschen Sprache aus. Sprachlich ist deshalb nichts dagegen einzuwenden.
Da wir uns mit dieser Praxis das Leben willentlich erschweren, muss die Prüfung gestattet sein, ob sie ihren Zweck erfüllt.
Am nächsten liegt da der Vergleich mit dem Rest der Welt, wo die deutsche Praxis unbekannt ist. In Schweden suchte die Reichsregierung vor kurzen nach einem Direktor:
Obwohl nicht von einer direktörinna
(Direktorin) die Rede war, müssen sich Frauen gleichermaßen angesprochen gefühlt haben, denn die Stelle wurde mit einer Frau besetzt.
Die nächste Station ist Islands Parlament Alþingi:
Ástas Name ist in diesem Text unter lauter maskulinen Personenbezeichnungen mutterseelenallein.
Island und Schweden rangieren in Studien zur Gleichstellung wie dem Global Gender Gap Report vom World Economic Forum weit vor Deutschland auf den ersten Plätzen, obwohl sie wie wir an demselben grundsätzlichen Mangel an Frauen in Machtstellung leiden.
Gendersprech zur Verschleierung der Ungleichstellung der Frau
Im zwischenmenschlichen Alltag, wo sich Männer und Frauen als ihresgleichen behandeln, finden sich Doppelformen auch im Deutschen nicht. Niemand sagt, die Verkäufer und Verkäuferinnen im Supermarkt an der Ecke seien ganz schön unfreundlich, wenn er keine propagandistischen Motive hat (Motive gibt es nur im Verstand). Der Sprachgebrauch (Sprachzentrum) bezeichnet sie geschlechtsindifferent als Verkäufer.
Doppelformen werden dort fleißig im Munde geführt, wo die Macht verteilt wird: in der Politik, in der Staatsverwaltung und in den Zentralen von Konzernen im Rahmen ihrer Compliance-Attitüde.
Keines dieser Unternehmen wird von einer Frau geführt, in den Vorständen tauchen sie nur als mütterliche Galionsfigur für das Personalresort auf. Zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten sind Männer. Schuld daran sind nicht wir Wähler, sondern die Kandidatenlisten von CDU, CSU und SPD.
Wo Männer das Sagen haben, wird keine Gelegenheit ausgelassen, die Frau durch Doppelformen zu würdigen.
Der ehemalige Verkehrsminister Ramsauer stellte im vergangenen Jahr seine frauenfreundliche Straßenverkehrsordnung vor.
Dabei nehmen Frauen zwangsläufig am Straßenverkehr teil, wenn sie das Haus verlassen. Es erhalten zudem nicht nur ebenso viele Frauen mit Erreichen der Volljährigkeit den Führerschein, wie es Männer tun, es gelingt ihnen in beeindruckender Mehrheit sogar ein Jahr früher mit siebzehn Jahren. Selbst die siebzehnjährigen Lastkraftwagenfahrerinnen stehen dem Verhältnis von Mann und Frau in der Bevölkerung kaum nach.
Der Handlungsbedarf besteht nicht im Verkehr, sondern im Verkehrsministerium. Zum Zeitpunkt der Novellierung amtierte ein Mann als Verkehrsminister. Ihm unterstanden fünf Staatssekretäre. Keiner davon war eine Frau.
Dabei schreibt das Bundesgleichstellungsgesetz dem Minister vor, dass er neue Posten mit Frauen zu besetzen hat, zuletzt im Oktober 2012, als Michael Odenwald verbeamteter Staatssekretär wurde.
Wenn zu diesem Zeitpunkt keine Frau mit gleichen Qualifikationen zur Verfügung stand, lautet die Frage: Wieso nicht? Das BGleiG war damals seit zwölf Jahren in Kraft und schreibt die Förderung der Qualifikation von Frauen vor. Von der Förderung von Parteikameraden steht darin hingegen kein Wort.
Würde es die Gleichstellung der Frau nicht eher fördern, wenn sich der Minister an dieses Gesetz hielte, als wenn er das deutsche Weibsvolk in Wort und Schrift besingt wie Walther von der Vogelweide?
Solche Fragen stellt niemand und zu allem Übel die vielen Frauenbeauftragten in diesem Land nicht.
Ihren ‚Leitfaden gendergerechte Sprache‘ leitet die Frauenbeauftragte der Universität München (LMU) mit dem Hinweis ein, die sprachliche Gleichbehandlung der Geschlechter sei für eine [fälschlich für die] Gleichstellung von unerlässlicher Bedeutung.
Ich habe mich an Frau Weber gewandt, um mir in einem Gespräch diese Unerlässlichkeit im Allgemeinen und die sehr weitreichenden Sprachvorschriften des Leitfadens im Einzelnen erklären zu lassen. Frau Weber antwortete, sie könne leider kein Interview geben. Sie sei keine Sprachwissenschaftlerin und keine Juristin und der Leitfaden nur eine Empfehlung.
Von einer Empfehlung kann keine Rede sein, wenn man von Amts wegen Sprachvorschriften erlässt und sie einleitend als unerlässlich für ein Gesellschaftsziel deklariert, das mit Sicherheit alle Angehörigen der Universität teilen. Denen dürfte kaum bekannt sein, dass der Leitfaden auf keinem Gesetz und erst recht keiner sprachwissenschaftlichen Erkenntnis gründet.
An der Unerlässlichkeit darf man zweifeln, wenn man im Rektorat und im Hochschulrat der LMU nach Frauen sucht. Nur die Studenten haben als einen ihrer beiden Vertreter eine Frau in den Rat gewählt. Die anderen zehn Vollmitglieder aus dem Hause sind Männer, zudem die beiden Vorsitzenden. Dieses Missverhältnis ist keine Ausnahme. Man findet es, wo immer man sucht.
Der Rat der Universität Islands quillt dagegen inzwischen vor Frauen nur so über. Obwohl man dort für gendergerechte Sprache nur das landestypische schallende Lachen übrig hat, zeigt die Stellenbesetzung bis hinab zur Hausmeisterei ein Gleichmaß an Männern und Frauen, das der Arche Noah das Wasser reichen kann.
Genderideologie versus Wissenschaft
Die Angehörigen der LMU sind in der Fülle Wissenschaftler. Deswegen wird sie nicht nur interessieren, warum die persönlichen Empfehlungen ihrer Frauenbeauftragten unerlässlich sein sollen, sondern auch, welchem Geist diese Empfehlungen entsprungen sind.
Trotzdem sind in der universitären Sprache nach wie vor viele Texte im generischen Maskulinum gehalten
, heißt es weiter in der Einleitung des Leitfadens. Deshalb genügt es nicht, Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen in Texten einfach nur ‚mitzumeinen‘. Ziel muss es sein, Frauen und Männer gleichermaßen anzusprechen und die Frauen sprachlich sichtbar zu machen.
Das generische Maskulinum ist kein Begriff der echten Genusforschung, sondern reiner Gaukel. Denn nichts an diesem Gedanken ist Frucht von Sprachwissenschaft.
Er stammt aus der politischen Bewegung, die sich Gender Studies nennt und seit Jahrzehnten eifrig über unsere Sprache und ihre Vergangenheit publiziert. Den Verfassern ist etwas gelungen, was in der Wissenschaft seinesgleichen sucht: Sie sind sich in allem einig.
Als würde einen das nicht schon wissenschaftlich disqualifizieren, geht die Erkenntnis hier auch noch ihrer Erforschung voraus: Der Mann unterjocht die Frau seit Jahrtausenden, die Sprache dient ihm dabei als Werkzeug, indem sie nur vom Manne spricht und nicht von der Frau.
Gender Studies besteht folglich darin, die Sprachgeschichte nach Belegen für diese Erkenntnis abzuklappern. Was sich irgendwie als Beleg für die Erkenntnis fehldeuten lässt, wird fehlgedeutet. Wo das nicht gelingt, wirft das keine Fragen an der Richtigkeit der Hypothese auf, sondern wird als Fall dafür gedeutet, dass der Mann eine Möglichkeit übersehen hat, die Sprache für seine Dominanz zu instrumentalisieren. Obwohl alle Publikationen unverhohlen aktivistisch sind, wollen sie sich durch das Einflechten von Fachbegriffen das Air echter Wissenschaft geben.
Als Geschichtsbild der Gender Studies ergibt sich dies: Obwohl die Frau seit so langer Zeit sprechen kann wie der Mann und seit jeher die Hälfte jeder Population ausmacht, hat sie jahrtausendelang nichts gesagt und ist erst durch die moderne Frauenbewegung zu Bewusstsein und Sprache gekommen wie auf dem Planeten der Affen. Wenn sie doch gesprochen hat, durfte sie die Sprache höchstens mitbenutzen und musste so sprechen, wie es ihr der Mann vorgab. An der Entstehung und Entwicklung des Deutschen hatte sie keinen Anteil.
Wer nun nicht mehr aufhören kann zu lachen, sollte einen Blick ins Handbuch der Rechtsförmlichkeit werfen, nach dem alle Gesetze der Bundesrepublik Deutschland formuliert werden. Es gründet auf dieser antiwissenschaftlichen Ideologie.
Dorthin gelangt ist die Ideologie durch Täuschung. Die Frauenbeauftragte der Stadt Köln erklärt in ihrem Leitfaden, sprachwissenschaftliche und psychologische Studien hätten gezeigt, dass Frauen zwar häufig mitgemeint, selten jedoch mitgedacht würden. Tatsächlich sind es keine sprachwissenschaftlichen und psychologischen Studien, sondern Sprachtests, die fachunkundig von feministischen Psychologinnen durchgeführt wurden. Sie sind von vielen methodischen und sachlichen Fehlern abgesehen vor allem deshalb falsch, weil sie die Kluft zwischen Sprachzentrum und Verstand nicht bemerken. Deshalb zeugt auch der Wunsch nach bewusster und sensibler Sprache, wie ihn alle Frauenbeauftragten in ihrer zurechtplagiierten Fassung des Leitfadens äußern, für tiefes Unverständnis der Sprache.
Zwar können wir die Regeln des Sprachzentrums gelegentlich mit Motiven unseres Verstandes überschreiben, aber das Ergebnis ist so gut wie immer ungrammatisch, überflüssig und töricht: So überschrieben Journalisten im letzten Jahr in ihrem Sprachzentrum die Konklave
(so seit der Entlehnung aus dem neutrumlosen Italienischen vor einem halben Jahrtausend) durch das Konklave
Tutorial: Die oder das Konklave?, weil sie es für Latein hielten und sich nicht lumpen lassen wollten. Auf diesen törichten Einfall wäre ihr Sprachzentrum nie gekommen, was man daran erkennt, dass sie das Wort im Plural als Femininum beugten die Konklaven
statt als Neutrum die Konklavien
, und auch daran, dass sie das im selben Absatz gebrauchte Pontifikat
nicht als Maskulinum gebrauchten, wie es das Lateinische tut pontificātus, -ūs
.
Geschlechtsneutrale und gendersensible Sprache
Die Empfehlungen aller Leitfäden bestehen darin, die Männersprache durch eine Sprache zu ersetzen, die sie einmal geschlechtssensibel nennen und ein andermal im krassen Widerspruch dazu geschlechtsneutral. Dieses Ziel ist den herkömmlichen Doppelformen des Deutschen, die die Frau hervorheben, entgegengesetzt.
Dabei rufen die Leitfäden zu kreativem Sprachgebrauch auf und geben Beispiele, die meist grammatikalisch falsch (die Sprachzeichen werden nicht so verwendet, wie sie festgelegt sind) oder sprachlich ungültig (die Ausdrucksweise gibt es nicht) sind.
Wer als Muttersprachler so weit geht, ohne zu bemerken, dass etwas nicht stimmt, muss ein starkes Motiv haben, das sein Sprachgefühl betäubt. Es handelt sich dabei um den gängigen Furor teutonicus, den ich hier gendersensibel als den Wunsch bezeichnen möchte, der Führerin entgegenzuarbeiten: Es werden Vorgaben übererfüllt, die niemand vorgegeben hat. Niemand zweifelt am Ziel und an den Mitteln.
Uns ist bekannt, dass unser Genussystem nichts mit Männern und Frauen zu tun hat, sondern die Instanz unseres Sprachzentrums ist, das unseren Wortschatz unseren Lebensbedingungen anpasst. Diesen einzigen Zweck will ihm die Genderideologie abnehmen. Sie strebt ein symmetrisches Genussystem an, in dem alle Genera spezifisch sind. So etwas kann in der Sprache ebenso wenig existieren wie beim biologischen Geschlecht (hier ist die Frau das Standardgeschlecht und der Mann das Spezifikum), weil es dann bei Fehlern in der Festlegung zu genuslosen Substantiven und Menschen ohne Geschlechtsorgane käme.
Da die Grundlage nicht stimmt, verkehren die Maßnahmen die deutsche Sprache in ihr Gegenteil. Die Sache geht also vorne und hinten nicht auf, wodurch erst der kreative Sprachgebrauch als willkürliche Wahl der am wenigsten falschen Maßnahme notwendig wird.
In der gesprochenen Allgemeinsprache — und nur sie zählt — können sich diese Maßnahmen nicht durchsetzen: Erstens weil sie falsch sind und zweitens weil sie das Sprachzentrum ins Bewusstsein drängen. Die Leute müssten dauernd motiviert sprechen.
Die gendersensible Straßenverkehrsordnung
Der Schaden beschränkt sich also auf die Verschleierung der Ungleichstellung der Frau und die Texte, die der Führerin entgegengetextet werden. Dort ist er allerdings enorm, wie die neue Straßenverkehrsordnung vom März 2013 zeigt.
Auch hier fallen einem wie bei den Leitfäden generelle Defizite im Umgang mit Sprache auf. In der StVO wimmelt es vor Deklinationsfehlern (§ 14 Abs. 1: „dass eine Gefährdung anderer am Verkehr Teilnehmenden ausgeschlossen ist“) und kindlichen Falschschreibungen (der Andere, hin- und herrollenTutorial: Auf und ab, hin und her).
Die Genderfizierung ist so schlampig durchgeführt, dass es einem den Atem raubt, wenn man bedenkt, wie viele Stationen eine Gesetzesnovellierung durchläuft, ehe sie im Bundesgesetzblatt (BGBl. 2013, Teil I, Nr. 12, am 12. März 2013) erscheint.
Wo es 1970 (BGBl. 1970, Teil I, Nr. 108, am 16. November 1970) noch in § 25 hieß, Fußgänger müssen die Gehwege benutzen
, steht 2013: Wer zu Fuß geht, muss die Gehwege
[Anm.: Dieser Plural ist falsch.] benutzen
.
Direkt darüber lautet in beiden Fassungen die Überschrift gleich: Fußgänger.
Das ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Je weiter der Text voranschreitet, desto häufiger spricht die StVO von Führern, Tierhaltern und Reitern, sei es aus Konzentrationsmangel oder aus falschen Überlegungen.
Personenbezeichnungen auf ·er
werden in der Genderideologie als Unterdrückungsinstrument angesehen, weil sie wie der Büstenhalter
grammatikalisch maskulin sind.
Die eine Fraktion nimmt irrtümlich an, das Genus würde nicht in den Plural reichen, weil dort der Artikel einheitlich die lautet. In der StVO findet sich inkonsistent auch der Folgeirrtum, diese genuslosen Plurale steckten in Zusammensetzungen wie Fußgängerampel. Oder in Kundennummer
oder Personenbeschreibung
. Wie das letzte Beispiel zeigt, das unmöglich ein Plural sein kann, schöpft die Wortbildung alle Stammformen eines Substantivs aus. Was dem Verstand wie ein Plural erscheint, ist keiner. Pluralbildungen wie Gästeliste
sind sehr selten und immer Teil eines Spezialschemas.
Die StVO spricht von Polizeibeamten, ohne zu bemerken, dass dies nur der Plural von Polizeibeamter
sein kann und Beamtinnen nach ihrer Sicht ausschließt, denn der Plural kann nicht kürzer sein als der Singular (Ikonizität). Die Beamte
gibt es weder in der Allgemeinsprache noch auf dem Amt.
Die andere Fraktion will alle Bildungen mit ·er
ausmerzen. Wo die StVO Lust aufs Ausmerzen hat, wählt sie einen verallgemeinernden Relativsatz: Wer zu Fuß geht, muss die Gehwege benutzen.
Hier ist einzuwenden, dass das Gehweggebot nur gilt, wenn man gehend einen Fuß vor den anderen setzt. Herumlungern auf dem Mittelstreifen ist neuerdings erlaubt.
Aus gutem Grund unterscheidet das Deutsche zwischen Relativ- und Adverbialsätzen und Rollenbezeichnungen wie Fußgänger
.
Bei Rollstuhlfahrer
möchten wir dem Redakteur unterstellen, dass nicht Schlampigkeit, sondern Einsicht ‚wer Rollstuhl fährt‘ verhindert hat, obgleich sich Rollstuhlfahrerinnen neuerdings als vogelfrei betrachten sollten.
Für den harten Kern der Genderideologie und die Leitfäden der Frauenbeauftragten macht man mit Relativsätzen alles nur gleichschlimm. Ihnen ist bedauerlicherweise aufgefallen, dass dem Pronomen wer die wie fehlt, woraus sie wieder den falschen Schluss ziehen.
Neben dem generischen Maskulinum gibt es in der deutschen Sprache weitere grammatikalische Bereiche, die eine historisch begründete männliche Dominanz widerspiegeln. Ein Beispiel hierfür sind die Pronomina ‚wer‘, ‚niemand‘, ‚jemand‘, ‚man‘.
Annelene Gäckle, Monika Schoop, Maike Hellmig: ÜberzeuGENDERe Sprache. Köln 2013, Seite 20.
Von wegen. Alle Pronomina urindogermanischen Ursprungs sind vor dem Femininum entstanden und haben deshalb wie die zweiendigen Adjektive im Lateinischen communis, ·is, ·e
nur das Neutrum neben dem Standardgenus: uridg. kwi·s
→ lat. qui·s
, dt. we·r
. Wenn diese Wörter älter als das Genus sind, kann es schlecht der Dominanz dienen.
Mann, man, Mensch
In unserem Sprachzentrum sind Mann
und man
(auch in je·man·d
) zwei verschiedene Wörter. Man
hat sich als eigenes Wort von Mann
abgespalten, als das noch den Menschen als gewisse Person bezeichnete, im Gegensatz zu Mensch als ungewisses Menschenwesen im Kontrast zu Gott.
Die ehemalige Verwendung steckt heute noch in den syntaktischen Regeln in unserem Sprachzentrum: Wenn uns Politiker mit der Phrase ‚die Menschen‘ anmenscheln, spüren wir, dass etwas nicht stimmt. Wir verwenden Mensch
nicht bei dieser Gelegenheit, nicht im Plural und nicht mit bestimmtem Artikel. Wir sprechen stattdessen von man
oder von Leuten
.
Wo Relativsätze an Grenzen stoßen, die selbst Aktivisten bemerken, möchten sie Personenbezeichnungen auf ·er
durch Partizipien ersetzen. Auch die StVO wählt dieses Mittel, wenn es ihr gerade in den Sinn kommt: Fußgänger
→ zu Fuß Gehende
.
Von hier an wird es richtig falsch. Das gilt zunächst für die Rechtschreibung. Das amtliche Regelwerk äußert sich in § 36 in Abschnitt 2.1 zu Partizipien (gehend) mit einer Ergänzung zu Fuß
und erlaubt sowohl Getrennt- als auch Zusammenschreibung: eine allein(_)erziehende Mutter
. Die Rede ist allerdings von adjektivisch gebrauchten Partizipien.
Von substantivierten spricht sie nicht, und zwar aus gutem Grund: Was auch immer das Partizip als Adjektiv für Ergänzungen haben kann, beim Substantiv verschmilzt alles zu einem Wort: eine Alleinerziehende
(nicht: eine allein Erziehende
). Ohnehin ist das Partizip bei diesem Beispiel ein Gebot der Not, weil Eltern keine Erzieher sind.
Wo das Partizip Adjektivattribut ist, ist Getrenntschreibung noch zu vertreten: Auto fahrende Personen
. Als Substantiv würde, wenn diese Ausdrucksweise im Deutschen nicht ungültig wäre, Autofahrende
daraus und nicht wie in der StVO Auto Fahrende
. In § 5 Abs. 5 der StVO wird hingegen richtig, aber inkonsistent von entgegenkommenden Fahrzeugführenden
gesprochen. Das Fahrzeug gehört zum Wesen dieses Führenden, wie der Beifall zum Klatschenden und die Freude zum Strahlenden.
Sicherlich keine leichtverständliche Angelegenheit. Zum Glück müssen wir sie normalerweise nicht verstehen (Verstand), weil unser Sprachzentrum ohne unser Zutun keine Schwierigkeiten damit hat. Es macht übrigens einen auffälligen Bogen um erweiterte Partizipien als artikellose Substantive.
Mit anderen Worten: Die Schöpfungen der StVO sind im Deutschen ungültig.
Fußgänger und zu Fuß Gehender
Beim zu Fuß Gehenden
kommt hinzu, dass die Präposition bei der Wortbildung schwindet: Fußgehender
. Ebendies ist vor einem halben Jahrtausend schon einmal geschehen.
Die Wendung ze fueze
war bereits im Mittelalter in Gebrauch und das Gegenteil von ze orse
(mit Verdrehung im Anlaut, ‚zu Ross‘). Diese beiden Fortbewegungsarten bildeten die Abteilungen des Militärs und dem Deutschen Gelegenheit, eine Personenbezeichnung für den Fußsoldaten zu erschaffen, der später zivilisiert wurde: Fußgänger.
Der Fuß
gerät dabei in die Wortbildung wie die Wache
beim Wachhabenden
, die Präposition entfällt wie beim Zeitreisenden
, beim Freudestrahlenden
und beim Arschkriecher
.
Ein genereller Haken an den Genderpartizipien ist der sogenannte Aspekt, dessen Einfluss auf unsere Grammatik und unseren Wortschatz ungeheuerlich ist. Er verhindert, dass aus Antragsteller
je ein Antragstellender
wird und aus Einwanderer
ein Einwandernder
. Wenn ein Verb eine Handlung beschreibt, deren Anfang sich vom Ende unterscheidet (einschlafen:
wach → schlafend), kommt das Partizip (einschlafend) gar nicht in Betracht, weil dieser Phasenübergang keine Eigenschaft sein kann. Rollenbezeichnungen aus solch perfektiven Verben bezeichnen das dauerhafte Ergebnis des Vorgangs Gewinner, Täter, Verfasser
, das Partizip dagegen den Vorgang vor seiner Vollendung Gewinnender, Tuender, Verfassender
.
Die meisten deutschen Verben sind perfektiv. Man erkennt sie daran, dass sie das Perfekt mit dem Hilfsverb sein
bilden, wenn sie kein Objekt haben:
Auch die Fortbewegungsverben gelten unserem Sprachzentrum als perfektiv, und Sprachwissenschaftler zermartern sich ihren Verstand, was es sich dabei denkt.
Uns braucht es nicht zu kümmern, denn alle substantivierten Partizipien wie zu Fuß Gehende
sind im Plural ohnehin Standardgenus, also maskulin. Die Ideologen können sich ihm nur entwinden, wenn sie in die Türkei auswandern. Im Türkischen gibt es kein Genus und nur ein Pronomen für alles. Die historisch begründete Dominanz des Mannes kann es dort folglich nicht geben.
Gleichberechtigung und Genderideologie
Die Ideologie ist in ihrer Methode von Anfang bis Ende in einem Maße antiwissenschaftlich und falsch, wie man es heutzutage nicht tolerieren darf. Sie gleicht methodologisch dem Kreationismus oder der völkischen Rassenlehre.
Subversion der Wissenschaft ist kein legitimes Mittel für ein politisches Ziel wie die Gleichstellung der Frau.
Und zudem kein taugliches. Ich habe keinen Fall gefunden, wo Gendersprech nicht augenfällig zur Verschleierung der Ungleichstellung missbraucht würde. Sie wurde den Ideologen bereits von Leuten mit anderen Zielen und notorischen Mitläufern entwendet.
Gehen wir hypothetisch davon aus, dass die Genderideologie den Kampf gegen fundamentale Strukturen unserer Muttersprache gewinnen könnte: Frauen werden inzwischen achtzig Jahre alt und treffen im ersten Drittel ihres Lebens gravierende Entscheidungen für ihr ganzes Berufsleben.
Eine langwierige Umgestaltung der Sprache würde selbst im Erfolgsfall erst zur Gleichstellung führen, wenn alle heute lebenden Frauen längst tot sind. Gleichberechtigung und freie Entfaltung sind jedoch seit fünfundsechzig Jahren einklagbares Recht, länger, als die heute erwerbstätigen Frauen auf der Welt sind.
Wollen sie sich wirklich mit einer untauglichen Propagandainszenierung abspeisen lassen, bei der die Gerechtigkeit wie im Sozialismus immer kurz bevorsteht, aber nie erreicht wird?
Die Frauenquote ist das einzige Mittel, das Warten abzukürzen. Es ist politisch und für ein Gesellschaftsziel legitim. Es kann nicht von Ministermännchen missbraucht werden. Es raubt der Sprache ihre Anpassungsfähigkeit nicht, sondern passt unserer Großgesellschaft an die Lebensbedingungen an. Es verfälscht nicht, sondern rückt gerade. Es ist nicht ungerecht, sondern nur vorübergehend ungünstig für den Mann.